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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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sie wartete, denen man den Kurier auf zehn Schritt Entfernung ansah. Die meisten von ihnen waren dünn und leicht, um die Pferde nicht zu belasten, und zäh genug, um mit allen Händeln unterwegs fertigzuwerden. »Ihr kommt von Maître Ballain?« Aimée streckte die Rechte fordernd nach dem Brief aus.
    »Maître Ballain hielt es nicht für angebracht, zu schreiben. Er meinte, es wäre besser, Euch seine Nachricht von mir vortragen zu lassen«, erwiderte der Mann respektvoll.
    »Sprecht!« Aimée bemühte sich, ihre unheilvollen Ahnungen zurückzuhalten. Der Gewürzhändler aus Dijon war nach wie vor einer der wichtigsten Geschäftspartner des Hauses. »Geht es um den Handelszug, den Maître Ballain für uns zusammengestellt hat? Wo bleibt er? Wir warten dringend auf diese Waren. Besonders die Gewürze sind wichtig. Der Haushalt des Grafen von Flandern hat sie bestellt. In Male sind große Feste geplant. Der Herzog von Burgund ist mit der Herzogin eingetroffen. Wenn ich nicht liefern kann, wird sich der Haushofmeister des Grafen an andere Händler wenden.« Aimée vermochte sich kaum zu zügeln, um den Mann berichten zu lassen.
    »Es tut mir leid, Euch eine schlechte Nachricht überbringen zu müssen. Der Handelszug wurde vor Reims von englischen Söldnern aufgebracht. Die Fuhrknechte, die bewaffnete Begleitung und die Transportführer fanden den Tod. Nur ein Mann konnte dem Gemetzel entfliehen. Schwer verletzt brachte er die Kunde von dem Überfall nach Dijon.«
    Aimée starrte den Boten aus ungläubigen Augen an.
    »Maître Ballain«, fuhr er fort, »bezweifelt ernstlich, dass der Überfall das Werk marodierender Söldner oder gewöhnlicher Wegelagerer war. Die Gauner waren straff organisiert und kannten ebenso genau den Weg des Zuges, wie sie über die Waren, die er mit sich führte, informiert zu sein schienen. Die Begleitung wurde planmäßig getötet, um jeden Zeugen zu beseitigen. Eure komplette Lieferung ist mitsamt den Fuhrwerken verlustig gegangen.«
    »Alles?« Aimée presste unwillkürlich die Hand auf ihr jagendes Herz. Sie musste nach Luft ringen. »Waren es Engländer? Ist der Krieg mit ihnen inzwischen so weit ins Landesinnere vorgedrungen? Wir haben nichts davon gehört. Wie ist das möglich?«
    »Das fragt sich Maître Ballain auch, Madame Cornelis. Die Kriegshandlungen konzentrieren sich zurzeit eigentlich hauptsächlich auf die Küstengebiete um Calais und die Bretagne. Bis Reims ist noch kein Engländer vorgedrungen.«
    Der einzige Schluss, den diese Auskünfte zuließen, war ungeheuerlich. »Wollt Ihr etwa sagen, der Überfall galt mir? Dem Haus Cornelis und seinen Waren?«
    »Davon geht Maître Ballain inzwischen aus. Seiner Meinung nach muss es sich um einen gezielten Akt gehandelt haben, der von bezahlten Söldnern ausgeführt wurde. Alle Nachforschungen, die in Dijon angestellt wurden, verliefen im Sande. Die Auftraggeber müssen am Zielort des Zuges sitzen. Hier. In Flandern.«
    Aimée sah ihn fragend an.
    »Maître Ballain legt Euch ans Herz, eigene Nachforschungen in Brügge zu betreiben. Äußerst vorsichtige Nachforschungen, denn es scheint, dass Ihr in dieser Stadt einen Feind habt, der Euch vernichten will.«
    »Einen Feind?« Die Tatsache, dass sie einen Feind haben sollte, weckte ihren Kampfgeist. »Wer sollte es sein? Habt Ihr oder Maître Ballain eine Vermutung?«
    »Das müsst Ihr herausfinden, Madame Cornelis. Unbedingt sogar. Maître Ballain sagt, man muss seine Feinde kennen, wenn man sie besiegen will. In Dijon war keine Spur zu finden. Aber hat nicht jeder Handelsherr Feinde am eigenen Ort, zum Beispiel bei seinen Konkurrenten, bei missgünstigen Zunftbrüdern?«
    Man akzeptierte sie in Brügge inzwischen. Bis heute war es ihr unvorstellbar gewesen, dass es jemanden gab, der das Haus Cornelis vernichten wollte und dabei gar vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckte.
    Doch wenn sie einen Feind in Brügge haben sollte, dann kam nur einer in Frage, ging es ihr durch den Kopf. Anselm Korte.
    Aimée überlegte.
    Korte – der Wollhändler war ihr zutiefst zuwider. Sie wollte es nicht Hass nennen – das verbot ihr schon ihr Sinn für Gerechtigkeit. Aber ihre Abneigung gegen Korte konnte sie nur im Zaum halten, indem sie sich an die Ratschläge ihrer Großmutter erinnerte. Hass peinigt den Hassenden mehr als den, dem sein Hass gilt, hatte sie ihr beigebracht.
    Sie konnte nicht verstehen, was Colard dazu getrieben hatte, Kortes schreckliche Tochter Gleitje zu heiraten. Die

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