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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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rotwangigen Schwester entgegennahm, entlockte Aimée reine Bewunderung.
    Es handelte sich um einen ärmellosen Schleppmantel aus lichtgrünem Samt, bei dem der Saum, die weiten Ärmelausschnitte sowie die Vorderkanten von einer handbreiten Stickborte gesäumt wurden. Ähnlich wie beim originalen Opus Anglicanum, jedoch flacher, wiederholte sich dort ein Rankenwerk aus Blättern und weißen Blüten in endloser Folge. Es wirkte so lebensecht, als wären natürliche Blüten auf dem Mantel verarbeitet worden.
    »Auf diese Weise lassen sich die Borten leichter abmessen und typisieren«, bekam Aimée erklärt. »Die Stickerinnen können nach einer Vorlage schneller arbeiten. Was haltet Ihr davon, diesen Mantel zu tragen, wenn Ihr der Herzogin von Burgund anlässlich ihres Besuches in Male Eure Aufwartung macht?«
    »Er würde Aufsehen erregen«, nickte Aimée aufgeregt und fuhr mit der Fingerspitze über die gewölbte Stickerei. »Ihr solltet jetzt schon damit beginnen, eine solche Borte mit Margeriten zu einem Kleid für die Herzogin anzufertigen. Ich bin sicher, sie wird einen solchen Auftrag erteilen!«
    »Schwester Laurise arbeitet bereits daran. Wir werden die Herzogin schneller als sonst zufriedenstellen können.« Mutter Philippa, die dem Beginenhof seit zwei Jahren vorstand, freute sich erkennbar über Aimées Besuch. Seit diese vor zwei Jahren mit dem Plan in den Weingarten gekommen war, die Beginen für diese spezielle Art der Stickerei zu gewinnen, hatte Philippa Aimée und ihre Fähigkeiten schätzen gelernt.
    »Ich wollte eigentlich nicht nach Male gehen«, gestand Aimée. »Mir fehlt die Zeit für die Feste der Herzogin.«
    »Unsinn.« Mutter Philippa wischte das Argument entrüstet vom Tisch. »Gönnt Euch die Muße und vergrabt Euch nicht ständig hinter den Auftragsbüchern. Eure Blässe ist nicht die einer gesunden Frau.«
    »Daran ist nur der allgegenwärtige Rosenduft schuld. Ich ertrage ihn nicht«, gestand Aimée ein.
    Sie sah der Schwester zu, die den kostbaren Mantel wieder in ein schützendes Tuch hüllte, und versuchte sich auf die anderen Gerüche zu konzentrieren, die im Raum schwebten.
    »Wie ist das möglich?«, forschte Mutter Philippa.
    »Eine Erinnerung an die schlimmste Zeit meiner Kindheit. Ich habe meine Eltern und meinen Bruder durch die Pest verloren. Seitdem widerstrebt mir der Duft von Rosen und Räucherwerk. Man glaubte damals, dass Rosenwasser und Räucherwerk vor dem bösen Atem der Pest schützen. Es muss etwas bewirkt haben, denn ich habe die Seuche unversehrt überstanden, aber der Geruch ist schrecklich.«
    »Der himmlischen Mutter sei Dank für Eure Rettung.«
    Die praktische Art, mit der Mutter Philippa wohlwollende Güte mit Geschäftstüchtigkeit verband, amüsierte Aimée bei jedem Besuch. Sie legte Wert darauf, dass ihre Schwestern Befriedigung in der Arbeit fanden. Das trug gleichzeitig dazu bei, das Einkommen des Beginenhofes zu erhöhen. Das Abkommen des Handelshauses Cornelis mit ihr enthielt so auch gewisse Vereinbarungen, die es ermöglichten, die Erlöse dem Krankenhaus der Beginen und den Armen zugutekommen zu lassen und nicht dem Bischof von Cambrai.
    Von zwei Knechten gefolgt, die die Pakete mit den fertigen Stickereien trugen, eilte Aimée in Gedanken versunken nach Hause. Die Erwähnung der dramatischen Ereignisse ihrer Kindheit hatte eine Fülle von Erinnerungen in ihr geweckt, die sie sonst sorgsam unter Verschluss hielt.
    Sie musste Mutter Philippa recht geben. In den vergangenen Jahren hatte sie sich über die Grenzen ihrer Kraft hinaus für das Haus Cornelis eingesetzt. Und das, ohne dem Ziel ihrer Wünsche spürbar näherzukommen. Am Dreikönigstag dieses Jahres hatte sie Abraham ben Salomon kein einziges Goldstück mehr für den Kredit übergeben können als den festgelegten Zinssatz, den ihr Domenico Contarini in Dijon eingeräumt hatte. Die Schulden, die Ruben zu seinen Lebzeiten angehäuft hatte, belasteten sie bis zum heutigen Tag.
    Den drückenden Problemen zum Trotz herrschte im großen Innenhof des Handelshauses betriebsame Geschäftigkeit. Fuhrwerke wurden entladen, Lastenträger keuchten heran, und Schreiber eilten zwischen den einzelnen Gebäuden hin und her. Aimée bemerkte die knicksende Magd erst, als sie ihre Botschaft ausrichtete.
    »Ihr werdet dringend erwartet, Herrin. Ein Eilbote aus Dijon.«
    Ein Bote? Sie erwartete einen Handelszug aus Dijon, nicht nur einen Boten.
    Alarmiert hastete Aimée in ihr Kontor, wo einer jener Männer auf

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