Die Stunde des Wolfs
die sich, immer unter Dampf, unablässig weiterdrehte, ohne je stillzustehen.
Verdammt, er hatte Hunger, sein Magen nagte an ihm. Trug nicht gerade dazu bei, seine Stimmung zu heben. Doch das Essen in den schäbigen Restaurants wurde umso schlimmer, je weiter man nach Süden kam. Wenigstens lebten sie im Norden von Kartoffeln, hier unten waren es Öl und Bohnen, alles mit Knoblauch versetzt, das Credo der Armen, das Kolbs Magen nicht bekam. Und zweifellos in Lissabon dasselbe in Grün.
Der Nachtzug nach Lissabon – eher eine poetische Umschreibung. Im Anschluss an einen Bummelzug nach Barcelona verbrachte Kolb den größten Teil von zwei Tagen auf einem zerbrochenen Korbsitz, zwischen Würstchenessern und quengeligen Kindern, ein paar offensichtlichen Flüchtlingen und einer endlosen Parade müder Soldaten in einem Dritte-Klasse-Wagon. Das Ensemble wechselte, doch Kolb saß immer noch da, während der Zug gemächlich ein Dorf nach dem anderen abklapperte, mal an diesem Bahnhof, mal an jenem hielt oder auch irgendwo mitten auf der Strecke stehen blieb.
Erst nach Mitternacht kam er endlich in Lissabons Estacão do Rossio an und fand die Frau in dem grünen Kopftuch, die am Bahnsteig auf ihn wartete. Sie fuhr ihn nicht zu einem Hotel an den Docks, sondern offenbar zu einer Art Pension im höher gelegenen Stadtteil Alfama , unter der maurischen Zitadelle. Nein, keine Pension, wurde er belehrt, sondern ein Unterschlupf für eine Reihe von Agenten, die hierhin und dorthin weiter mussten – am besten, man sah niemanden und wurde von niemandem gesehen. Doch er hörte sie in ihren Zimmern und brach die Regel nur aus Versehen, wenn er die Tür im selben Moment öffnete wie sein Nachbar. Ein großer, hochgeschossener Mensch, irgendwie professoral, der ihm für einen Moment entgegenstarrte, bevor er wieder ins Zimmer trat und die Tür von innen schloss. Eine Überraschung für Kolb, seine Erscheinung. Kolb hatte ihn durch die Wand im Schlaf stöhnen gehört und sich einen ganz anderen Mann dabei vorgestellt. Dennoch gar nicht mal so schlimm in diesem Versteck, zumindest bekam er zu essen – die in Öl gebratenen Bohnen auf einem Tablett ins Zimmer gebracht, mit einem winzigen Kotelett, vielleicht Ziege, dazu. Knausrig, der britische Nachrichtendienst, knausrig.
Er sah Mr. Brown am folgenden Morgen. Pummelig und behäbig, die Pfeife zwischen den Zähnen, so dass man gewaltig die Ohren spitzen musste, um ihn zu verstehen. Kolb verstand ihn allerdings, verstand ihn nur zu gut. Nachdem er von seinen Reisen gehört hatte, zu denen er sich auf einem Block Notizen machte, sagte Brown: »Wir schicken Sie nach Schweden rauf.« Kolb nickte, insgeheim hocherfreut. Ein neutrales Land, sauber und vernünftig, mit molligen, gefälligen Frauen – für Kolb ein wenig Himmel auf Erden nach der Hölle, die hinter ihm lag. »Sie sprechen kein Schwedisch, oder?« Kein Wort außer Skål, aber Skål war vielleicht genau das Richtige.
»Wie komme ich da hin?«, erkundigte sich Kolb.
»Wir schicken Sie auf einem Frachter rauf. Holländisches Handelsschiff als spanisches Tramp getarnt. Die lassen Sie in Malmö raus. Schon mal da gewesen?«
»Nein.«
»Es ist ruhig.«
»Gut.«
»Von da aus vielleicht nach Dänemark.«
Besetzt. Aber auf die höfliche Art.
»Natürlich kann man von Dänemark aus leicht nach Deutschland weiter.«
»Da wissen sie möglicherweise, wer ich bin – ich habe den Verdacht, dass Fräulein Lena mich denunziert hat.«
»Da sind wir nicht sicher, und sie ist jetzt bei den Walküren. Jedenfalls bekommen Sie neue Papiere.«
»In Ordnung«, sagte Kolb. Als ob seine Zustimmung irgendetwas zählte. Dennoch gab es einen Hoffnungsschimmer – Schweden, wo sie ihn, falls sie ihn erwischten, internieren würden. Falls sie ihn erwischten? Oh, das würden sie, dafür wollte er verdammt noch mal sorgen.
»Nichts dagegen?«, fragte Brown und kniff für einen Moment die Augen zusammen.
»Es gilt, einen Krieg zu gewinnen«, sagte Kolb.
Brown hatte möglicherweise geschnaubt, er war sich nicht sicher, er sah nur den Rauch, der in einer Wolke aus dem Pfeifenkopf stieg. Hatte er verächtlich geschnaubt? »In der Tat«, sagte Brown und ließ ihn wissen, dass er am Zehnten nach Mitternacht auslaufen werde. »Sie werden ans Dock gebracht«, sagte er. »Können Sie schließlich nicht durch Lissabon spazieren lassen, nicht wahr.«
8. Juni, 16.00 Uhr. In See.
De Haan kam zum ersten Plattfuß, der frühen Hälfte der Spaltwache,
Weitere Kostenlose Bücher