Die Stunde des Wolfs
seiner Frau, aber Joan Blondell , seine Sekretärin, ist heimlich in ihn verliebt.«
»Aha, natürlich.«
Und dann ein wenig später: »Was passiert jetzt? Er ist Seemann?«
»Er spielt einen Seemann, in dieser Revue.«
»Verstehe. Er kämpft!«
»Na ja, Matrosen in einer Bar.«
Nach der Prügelei eine Gesangseinlage:
Here's to the gal who loves a sailor . It's looking like she always will. She 's every sailor's pal. She 's anybody's gal .
Drink a gun to Shanghai Lil .
10 Juni, 03.00 Uhr. Hafen von Lissabon.
Für die Einfahrt in den Tajo brauchten sie einen Lotsen, den sie vor der Stadt Cascais aufnahmen und mit dessen Hilfe sie die Sandbänke, die sich an der Flussmündung bildeten, umschifften. Die Lotsen waren im Allgemeinen offen und gesprächig und schienen den Teil ihrer Arbeit zu genießen, worin dieser hier keine Ausnahme bildete. Mit De Haan sprach er Englisch. »Der Krieg ist langsamer geworden«, sagte er. »Außer in Libyen, da steckt er fest. Vorstoß, Rückzug, Vorstoß.«
De Haan pflichtete ihm bei. Der letzten Zeitung nach, die er gelesen hatte, und Alis BBC-Meldungen zufolge sah es tatsächlich so aus.
»Vielleicht ist das die Stunde der Diplomatie«, sagte der Lotse. »Hitler hat, was er wollte, und die Briten und Amerikaner werden irgendwie mit Japan zurechtkommen. Sehen Sie das auch so?«
»Könnte man so sagen.« De Haan war ein höflicher Mensch. »Aber die Besatzung ist nicht leicht, für Europa.«
»Für einige sicher nicht. Aber vor dem Krieg war es auch nicht gut, mit den Kommunisten und so vielen Männern, die keine Arbeit finden konnten.« Er legte eine Pause ein und fügte hinzu: »Sie sind kein Spanier, oder?«
»Holländer.«
»Ich dachte, Sie sind vielleicht Deutscher. Wie kommt es, dass Sie Kapitän auf einem spanischen Schiff sind?«
»Der letzte Kaptän ist einfach, ohne zu kündigen, gegangen, und ich war das, was sie auf die Schnelle finden konnten. Aber wahrscheinlich bleib ich nicht lange.«
»Die Crew ist spanisch?«
»Zum Teil. Sie wissen ja, wie das bei den Handelstrampschiffen ist, alle aus aller Herren Länder bunt zusammengewürfelt.«
»Das stimmt. Und davon könnte die Welt was lernen, nicht wahr?«
De Haan gab ihm Recht und machte sich mit dem Logbuch zu schaffen, anschließend sprach er mit dem Maschinenraum. Als sie sicher im Tajo waren und an zwei Schleppern festmachten, war De Haan nicht traurig, dass der Mann ging.
Vier Uhr morgens, De Haan auf der Brücke. Mit den zwei Schleppern vorn und achtern kam die Noordendam nur langsam flussaufwärts voran. Sie zogen an einem Pier nach dem anderen vorbei, während die Stadt still und reglos dahinter lag in diesem letzten Teil der Nacht, die nur von Straßenlaternen und ein paar Lichtern aufgelockert wurde, wie Sprenkel über die Hügel verstreut. In diesen Momenten waren seine Sinne besonders geschärft und ein Teil von ihm hellwach – eine besondere Ehre, wenn der Rest der Welt noch schlief und er für diesen Moment gleichsam ihr Hüter war.
Um 05.30 Uhr waren sie bereits, wie vom Schlepperkapitän versprochen, am Pier unterhalb der Rua do Faro vertäut, leicht zu erkennen an dem weißen F3, das auf der Seite des Frachtschuppens geschrieben stand. Zu normalen Zeiten hätte De Haan die Brücke gegen seine Kajüte getauscht, doch das waren keine normalen Zeiten, und so blieb er, wo er war. Als das erste Dämmerlicht über der Stadt aufzog, kam Leben in das Hafenviertel: Schauerleute, den Henkelmann in der Hand, auf dem Weg zu einem benachbarten Kai, wo sie sich für eine Tagesheuer in die Schlange stellten, während die letzte Hure dieser Nacht langsam mit dem Rad nach Hause fuhr, die Seemöwen auf Futtersuche kamen, ein sonnengebleichter schwarzer Fiat vor dem Frachtschuppen hielt, als Nächstes ein Armeelaster eintraf, ein paar gähnende Soldaten sich plaudernd die erste Zigarette ansteckten, während sich am Fuß des Piers eine lockere Reihe aufstellte, in der in einigem Abstand ein älteres Paar mit einem Koffer das Schlusslicht bildete. De Haan konnte zusehen, wie immer mehr Zivilisten eintrafen, bis er bei etwa vierzig nicht mehr weiterzählte, weil die Menge immer noch wuchs.
Um 07.50 Uhr erschien Kees für die Vormittagswache auf der Brücke. »Was geht da draußen vor sich?«
»Bin nicht sicher. Eine Gruppe Flüchtlinge, wie's scheint.«
»Ich dachte, das hier wäre ganz und gar geheim.«
»Na ja, halten Sie die Augen offen«, sagte De Haan, bevor er sich zu seiner Kajüte begab, um
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