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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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endlich ein paar Stunden Tiefschlaf zu bekommen.
    Doch daraus wurde nichts, jedenfalls noch nicht. In dem Flur, der zu seiner Kajüte führte, stand der Kartenraum offen, und Maria Bromen saß dort auf einem Hocker. Als sie ihn sah, erhob sie sich. »Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden.«
    Sie hatte sich zurechtgemacht, so gut es ging – das Kostüm und die Bluse gebügelt, vernünftige Schuhe geputzt, das Haar aufgesteckt. »Sie haben mir das Bügeleisen geliehen«, sagte sie. »Es sieht anständig aus?«
    »Oh ja, alles bestens. Aber ich dachte, Sie verlassen uns erst in der Nacht.«
    »Laufen Sie nicht heute aus?«
    »Wir wollen es zumindest versuchen – wir haben ein paar Stunden Verspätung, aber es gibt noch ein paar Dinge zu erledigen, wir werden daher erst nach Mitternacht so weit sein.«
    »Trotzdem werde ich jetzt gehen, und ich wollte Ihnen danken. Es gibt noch so viel, was ich Ihnen sagen möchte, aber ich glaube, Sie wissen es auch so. Danke also, leben Sie wohl, ich wünsche Ihnen Glück.«
    »Da draußen ist ein Menschenauflauf«, sagte De Haan. »Vielleicht warten Sie besser ein Weilchen.«
    »Ja, Flüchtlinge, ich hab sie gesehen. Die wollen auf Ihr Schiff, um aus dieser Stadt rauszukommen, aber die Armee wird sie nicht lassen. Das hat nichts mit mir zu tun.«
    »Die wissen doch gar nicht, wo wir hin wollen.«
    »Das ist ihnen egal. Es gab Gerüchte – Südamerika, Kanada –, und sie bieten Ihnen Geld oder Schmuck oder sonst was an.«
    Nach einer Weile sagte er: »Also dann, viel Glück, und passen Sie auf sich auf. Brauchen Sie noch irgendwas?«
    »Dank Ihnen habe ich alles. Ich werde die reichste Russin in ganz Lissabon sein.«
    De Haan nickte und sah ihr in die Augen. Er wollte sie dabehalten. »Dann also auf Wiedersehen.« Er reichte ihr die Hand, und sie schüttelte sie höflich, nach russischer Manier. Ihre Hand war eiskalt.
    »Vielleicht sehen wir uns wieder«, sagte sie.
    »Das würde mich freuen.«
    »Man weiß nie.«
    »Nein.« Und dann: »Sie passen auf sich auf, ja?«
    »Mir bleibt gar nichts anderes übrig, aber jetzt, wo ich so weit gekommen bin, denke ich, dass noch alles gut wird. Ich weiß es.«
    »Und Sie wollen wirklich nicht bis heute Nacht warten?«
    Sie wollte nicht.
    Eigensinnig. Aber das hatte sie am Leben erhalten, während sie auf ihre Chance wartete. »Dann erlauben Sie mir wenigstens, Sie durch diesen ganzen Aufruhr dort am Dock zu begleiten.«
    »Allein ist es besser. Ich werde direkt bei den Soldaten vorbeigehen, sie werden sich nicht um mich kümmern, die sind nur für Leute zuständig, die wegwollen.«
    »Ja, Sie haben Recht«, sagte De Haan.
    Sie schüttelten sich noch einmal die Hand, und sie ging. Als sie schon den halben Flur entlanggegangen war, drehte sie sich noch einmal zu ihm um und lief ein, zwei Schritte mit verschlossenem, ausdruckslosem Gesicht rückwärts, bevor sie erneut kehrtmachte und wirklich ging.
    De Haan verließ das Schiff um 10.30 Uhr Richtung Rua do Comercio, wo sich das Büro des Schiffszollmaklers befand. Am Ende des Piers bildeten die Soldaten für ihn eine Schneise durch die Flüchtlingsmenge, indem sie die Leute zur Seite scheuchten, ihre Gewehre quer vor sich hielten oder, wenn nötig, jemanden aus dem Weg schoben. Sie waren nicht brutal, sondern taten nur, was ihnen aufgetragen war, und die Art, wie sie vorgingen, zeugte von Erfahrung. Er brauchte nicht sehr lange, um die Menge zu durchqueren, doch lange genug. Sie riefen ihm in der einen oder anderen Sprache etwas zu, jemand bot ihm tausend Dollar an, jemand anders hielt einen Diamantring über die Köpfe der anderen. Ich kann euch nicht mitnehmen. Vielleicht hätte er es nach einem entsprechenden Tauziehen mit den Hafenbehörden sogar gekonnt, doch insgeheim fürchtete er wie Kees, dass sie nie bis 6° östlicher Länge kommen und die Leute somit entweder auf den Meeresgrund oder in ein deutsches Lager mitnehmen würden.
    »Stimmt was nicht?«, fragte Penha, der Schiffszollmakler, als De Haan sein Büro betrat. Man sah es ihm also an.
    Er schüttelte nur den Kopf.
    Penha war klein und dunkel, gut gekleidet und sehr nervös.
    »Ich habe auf Sie gewartet«, sagte er. »Ich bin gestern Nacht lange im Büro geblieben.«
    »Wir haben Zeit verloren«, sagte De Haan. Die Logleine ihres Schiffs – eine lange Schnur, die von einem Messgerät im Kartenraum ins Wasser hing und die zurückgelegten Meilen berechnete – hatte angezeigt, dass sie auf dem Weg nach Lissabon gegen die

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