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Die Sturmfluten des Frühlings

Die Sturmfluten des Frühlings

Titel: Die Sturmfluten des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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sein», sagte die ältliche Kellnerin.
    Scripps drückte ihre Hand. «Du bist meine Frau», sagte er schlicht.
    «Du bist mein Mann und mehr als mein Mann.» Sie blickte ihm in die Augen. «Du bist das ganze Amerika für mich.»
    «Laß uns weggehen», sagte Scripps.
    «Hast du deinen Vogel?» fragte die Kellnerin, während sie ihre Schürze beiseite legte und die Wochenausgabe des Manchester Guardian zusammenfaltete. «Ich nehme den Guardian mit, wenn du nichts dagegen hast», sagte sie und wickelte die Zeitung in ihre Schürze. «Es ist die letzte Nummer, und ich habe sie noch nicht gelesen.»
    «Ich habe den Guardian besonders gern», sagte Scripps. «Meine Familie war auf ihn abonniert, solange ich zurückdenken kann. Mein Vater war ein großer Bewunderer von Gladstone.»
    «Mein Vater war mit Gladstone in Eton zusammen», sagte die ältliche Kellnerin. «Und jetzt bin ich soweit.»
    Sie hatte ihren Mantel angezogen und stand fertig da. Sie hielt die Schürze, die stahlumränderte Brille in ihrem abgenutzten Saffianetui und die Ausgabe des Manchester Guardian in der Hand.
    «Hast du keinen Hut?» fragte Scripps.
    «Nein.»
    «Dann werd ich dir einen kaufen», sagte Scripps zärtlich.
    «Das soll dein Hochzeitsgeschenk sein», sagte die ältliche Kellnerin. Wieder glänzten Tränen in ihren Augen.
    «Und jetzt wollen wir gehen», sagte Scripps.
    Die ältliche Kellnerin kam hinter der Theke hervor, und zusammen, Hand in Hand, schritten sie hinaus in die Nacht.
    Drinnen in der Bohnenstube schob der schwarze Koch das Schiebefenster hoch und blickte von der Küche her hindurch. «Sie sind losgezogen», brummte er. «Losgezogen, hinaus in die Nacht… So was, so was!» Er schloß sachte das Schiebefenster. Selbst er war ein bißchen beeindruckt.

3
    Eine halbe Stunde später kamen Scripps O’Neil und die ältliche Kellnerin als Mann und Frau in die Bohnenstube zurück. Die Bohnenstube sah ziemlich so aus wie vorher. Da waren die lange Theke, die Salzstreuer, die Zuckerbehälter, die Ketchupflasche, die Flasche mit Worcestersauce. Da war das Schiebefenster, das in die Küche ging. Hinter der Theke stand die andere Kellnerin. Sie war ein dralles, vergnügt aussehendes Mädchen, und sie trug eine weiße Schürze. An der Theke saß ein Reisender und las eine Detroiter Zeitung. Der Reisende aß ein T-Bone-Steak mit Bratkartoffeln. Scripps und der ältlichen Kellnerin war etwas Wunderbares geschehen. Jetzt waren sie hungrig. Sie wollten essen.
    Die ältliche Kellnerin schaute Scripps an. Scripps schaute die ältliche Kellnerin an. Der Reisende las seine Zeitung und goß ab und zu etwas Ketchup auf seine Bratkartoffeln. Die andere Kellnerin, Mandy, stand hinter der Theke in ihrer frischgestärkten weißen Schürze. Der Frost auf den Fensterscheiben. Die Wärme drinnen. Die Kälte draußen. Scripps’ Vogel saß jetzt ziemlich verkrumpelt auf der Theke und strählte sein Gefieder.
    «Also, da seid ihr wieder», sagte Mandy, die Kellnerin. «Der Koch hat gesagt, ihr wärt hinaus in die Nacht gegangen.»
    Die ältliche Kellnerin blickte Mandy an; ihre Augen glänzten heller; ihre Stimme war ruhig und hatte jetzt einen reiferen, reicheren Klang.
    «Wir sind jetzt Mann und Frau», sagte sie freundlich. «Wir haben gerade geheiratet. Was möchtest du gern zum Abendbrot essen, Scripps, mein Lieber?»
    «Ich weiß nicht», sagte Scripps. Ihm war etwas unbehaglich zumute. Etwas rührte sich in ihm.
    «Vielleicht hast du dir die Bohnen übergegessen, lieber Scripps», sagte die ältliche Kellnerin, die jetzt seine Frau war. Der Reisende blickte von seiner Zeitung auf. Scripps stellte fest, daß es die Detroit News war. Das war eine ausgezeichnete Zeitung.
    «Das ist eine ausgezeichnete Zeitung, die Sie da lesen», sagte Scripps zu dem Reisenden.
    «Ja, die News ist eine gute Zeitung», sagte der Reisende. «Sind Sie auf Hochzeitsreise?»
    «Ja», sagte Mrs. Scripps, «wir sind jetzt Mann und Frau.»
    «So», sagte der Reisende, «das ist eine ganz feine Sache. Ich bin selbst ein verheirateter Mann.»
    «Ach, wirklich?» sagte Scripps. «Meine Frau hat mich verlassen. Ich lebte in Mancelona.»
    «Scripps, mein Lieber, laß uns nicht mehr davon sprechen», sagte Mrs. Scripps. «Du hast die Geschichte schon so oft erzählt.»
    «Ja, meine Liebe», pflichtete Scripps bei. Er verspürte ein dumpfes Mißtrauen gegen sich selbst. Irgend etwas rührte sich in ihm. Er blickte die Kellnerin an, die Mandy hieß, die robust und strotzend-schön

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