Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
Gesicht war von Prellungen unförmig verquollen. Ihr rechter Arm in groteskem Winkel verdreht. Offenbar war sie nicht einmal behandelt worden! Es schien, als wolle man sie einfach vergessen und dem Tod überlassen.
Wütend drehte sich Gregorius nach dem Regimentschirurgen um, der ihn begleitet hatte. »Warum wird der Oberlieutenant nicht behandelt?«
»Der Oberlieutenant ist eine Frau«, flüsterte der Arzt. Es war ein kleiner, dürrer Mann mit tiefliegenden Augen und ausgezehrtem Gesicht.
»Wer hat den Befehl gegeben, sie sterben zu lassen?« Gregorius sprach leise, doch voller kalter Wut.
»Niemand. Es ist keine Zeit, sich um alle zu kümmern. Sie haben doch gesehen, wie viele Verwundete hier unten liegen, Herr Oberstückhauptmann.«
»Mach Er mir nichts vor! Sie ist Offizier und müsste demzufolge bevorzugt behandelt werden.«
Der Chirurg schüttelte den Kopf. »Eine Frau kann kein Offizier sein. Sie muss die Uniform gestohlen haben.«
»Wie viele wissen von ihr?«
»Außer mir? Zwei Chirurgen und eine Gruppe von Offizieren, die ich über den Fall unterrichtet habe.«
»Sie werden mir alle Namen auf eine Liste schreiben! Aber zuerst behandeln Sie die Frau.«
Der Chirurg trat an das Bett und schlug die Decke zurück. Gabriela trug nur noch ein zerfetztes, blutbesudeltes Hemd. Ihre Uniform hatte man verschwinden lassen. Nur die nach Husarenart geflochtenen Zöpfe erinnerten noch daran, was sie einmal gewesen war. Gregorius stiegen vor Wut und Trauer Tränen in die Augen. Was hatte man ihr nur angetan!
Inzwischen betastete der Arzt den Arm und schnupperte an den Wunden. Dann schüttelte er den Kopf. »Ihr Fleisch hat sich entzündet. Daher das Fieber. Der Arm ist mehrfach gebrochen. Wir werden ihn amputieren müssen!«
»Das lasse ich nicht zu!«
»Dann wird sie sterben, Herr Oberstückhauptmann.« Der Chirurg sagte das so gleichgültig, als spräche er über etwas völlig Belangloses und nicht über ein Menschenleben.
Wütend packte Gregorius den Kerl beim Kragen und drückte ihn gegen die Mauer. »Jetzt hören Sie mir mal gut zu! Ich bin als einer der Offiziere eingeteilt, die in der Festung bleiben werden, um sie wieder in einen verteidigungsfähigen Zustand zu versetzen. Meiner Aufsicht untersteht dabei auch ein Teil der Gefangenen. Ich schwöre Ihnen bei Gott, wenn diese Frau stirbt, dann werden auch Sie die Gefangenschaft nicht überleben! Wenn Sie klug sind, nehmen Sie das lieber nicht als leeres Gerede!«
Der Regimentschirurg schluckte, hielt aber Gregorius’ Blick stand. »Ich bin nur ein Mensch … Wir müssen amputieren, wenn sie überleben soll … Wenn Sie Wunder erwarten, Herr Oberstückhauptmann, dann schicken Sie besser nach einem Priester.«
»Das werde ich nicht tun! Ein Pfaffe kommt mir nicht an ihr Bett. Vielleicht sollten Sie es einmal mit Beten versuchen … Denken Sie an das, was ich Ihnen gesagt habe. Ich werde nun gehen, aber wann immer es mein Dienst erlaubt, werde ich hierher hinabsteigen, um nach ihr zu sehen.«
Als Gabriela erwachte, saß neben ihr in einem Lehnstuhl eine zusammengesunkene Gestalt. Sein Kopf war in der Armbeuge vergraben, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Der Mann trug eine dunkelblaue Uniform. Mehr konnte sie im Licht der flackernden Kerze, die neben ihrem Bett brannte, nicht erkennen. Offenbar war der Mann ein Preuße. Sie hatten die Schlacht um Schweidnitz also verloren.
Vorsichtig versuchte sie, sich zu bewegen. Sie hatte Durst. Ihr Mund war völlig ausgetrocknet, die Lippen rissig und aufgesprungen. Sosehr sie sich bemühte, vermochte sie es nicht, sich aufzurichten. All ihre Kräfte waren aufgezehrt, die leichteste Bewegung eine Qual.
Sie wollte etwas sagen, doch sie brachte nur ein leises Röcheln hervor. Eine Ewigkeit hatte sie Zeit, dem Schlafenden zuzusehen, zu beobachten, wie sich seine Schultern bei jedem Atemzug hoben und senkten. Als sich ihre Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, erkannte sie, dass die Knöpfe des Uniformrocks vergoldet waren. Ein Offizier! Er trug auch eine gut gemachte Perücke mit jeweils einer Lockenrolle über den Schläfen. Wer der Mann wohl war?
Plötzlich wurde Gabriela sich bewusst, dass sie keine Uniform mehr trug. Ihr Geheimnis war entdeckt! Hatte man deshalb einen Offizier zur Wache für sie abgestellt? Eisige Schauer jagten ihr über den Rücken. Was würde man als Nächstes mit ihr tun? Noch einmal versuchte sie sich aufzurichten. Doch ihre Kräfte reichten nicht einmal, um ihre Arme zu
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