Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
gestern Nacht hatte sie miterlebt, wie einem unvorsichtigen Wachtposten die Glut seiner Pfeife zum Verhängnis wurde. Ein Scharfschütze hatte ihn in der Finsternis ausgemacht und in die Stirn geschossen.
Mit lautem Getöse trafen die schweren Kugeln auf die dicken Ziegelsteinmauern des Forts. Gabriela spürte den Boden unter den Füßen erbeben. Sie hob die Muskete und visierte die Mütze eines Schanzarbeiters an, die über den Rand eines der Gräben lugte. Eine Musketenkugel klatschte dicht neben ihre gegen die Mauer. Feine Ziegelsplitter spritzten ihr ins Gesicht. Fluchend warf sie sich in Deckung. Irgendein Scharfschütze hatte sie aufs Korn genommen!
Wieder brüllten die schweren Belagerungsgeschütze der Preußen auf. Dieser Stellungskrieg war ohne Ehre! Heimtückisch wurde man auf weite Distanz niedergeschossen, ohne dass man seinen Mörder auch nur zu Gesicht bekommen hätte. Säße sie nur nicht in dieser verfluchten Festung gefangen! Klinge an Klinge mit einem anderen Reiter seine Kunst zu messen, das war ein ehrlicher Kampf!
Ihre Gedanken wanderten zu Gregorius. Ob er wohl wieder bei den Geschützen stand. Sir hatte ihr Fernrohr behalten, das sie ihm leichtfertig bei Kunnersdorf geschenkt hatte. Ohne ein Glas war es unmöglich, die Gesichter der Offiziere zu erkennen, die bei den Kanonen standen. Vier Jahre lang hatte sie nichts mehr von dem Nürnberger gehört. Ob er überhaupt noch lebte? Manchmal hatte sie sich vorgestellt, was wohl aus ihr geworden wäre, wenn sie einen Mann wie ihn anstelle von Janosch geheiratet hätte. Aber alles Grübeln war müßig! Sie war hier in Schweidnitz, und irgendwo in den Gräben lauerte ein Schütze darauf, ihr bei der nächstbesten Gelegenheit den Kopf wegzuschießen. Oder hatte er sich inzwischen vielleicht ein anderes Ziel gesucht?
Gabriela nahm ihre Fellmütze ab, steckte sie auf die Muskete und hielt sie hoch. Kaum einen Atemzug später heulte ein Querschläger über die Zinnen. Der Mistkerl dort unten wartete also immer noch auf sie!
Wieder donnerten die Kanonen der Preußen. Mit der letzten Salve waren die Einschläge etwas näher zu ihr herübergerückt. Hoffentlich hatten die Kanoniere jetzt nicht diese Ecke des Forts als Ziel gewählt. Sie presste sich eng gegen die Mauer. Steinsplitter fegten über sie hinweg. Ein Teil der Salve schien fehlgegangen zu sein. Es waren weniger Einschläge …
Ein ohrenbetäubender Knall rollte über die Wälle. Wie Hagel schlugen Steinbrocken auf sie nieder. Sie riss die Arme hoch, um sich zu schützen. Die Erde schwankte unter ihren Füßen. Die Mauer gab nach. Sie stürzte nach vorne. Roter Ziegelstaub wehte ihr ins Gesicht. Sie schlug hart auf den Boden. Etwas fiel auf sie herab. Ihr rechter Arm wurde gequetscht. Überall schrien Verwundete und Sterbende.
Die Preußen mussten die Pulverkammer getroffen haben! Gabriela versuchte sich zu bewegen. Kleinere Steine rutschten von ihren Beinen. Jeder Knochen in ihrem Körper schien zerschmettert. Erst jetzt, als sich der rote Staub langsam setzte, kamen die Schmerzen. Sie drehte den Kopf zur Seite. Ein Mauerstück, groß wie ein Fass hatte ihr den Arm eingequetscht. Sie stöhnte. Der Schmerz wurde immer schlimmer! Ihr Arm! Sie spürte ihn nicht mehr! Sie durfte jetzt nicht ohnmächtig werden! Wenn sie ins Lazarett geschafft wurde, würden ihr die Feldscher den Arm sicher abnehmen! Nicht schwach werden …
Klackernd fielen neben ihr weitere Steine zu Boden. Sie verdrehte den Kopf und sah nach oben. Fast fünf Schritt tief war sie gestürzt. Noch mehr Steine fielen von oben herab … Über ihr ragte ein halb zusammengestürzter Mauerbogen auf. Immer wieder fielen einzelne Ziegelsteine von dort herunter. Würde sich das große Stück nur lösen! Dann hätten alle Schmerzen und Grübeleien ein Ende!
Zwei Tage waren seit der Kapitulation von Schweidnitz vergangen, als Gregorius das Gerücht zu Ohren kam, unter den Verwundeten aus dem explodierten Fort hätte sich eine Frau in einer Husarenuniform befunden. Sofort machte er sich auf die Suche, doch noch ein weiterer Tag verstrich, bevor er sie entdeckte. Die Österreicher bemühten sich, die Sache zu vertuschen, und so hatte er von Lazarett zu Lazarett gehen müssen, bis er Gabriela endlich fand. Sie lag ganz am Ende einer langen Kasematte, direkt neben der Kammer, in der man die Toten aufbahrte. Ihr Lager war mit schmutzigen Laken verhängt worden, um sie vor den Blicken Neugieriger zu schützen. Sie glühte vor Fieber. Ihr
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