Die Sturmrufer
gab Inu eine Spur zu scharf zurück. »Wenn du sie nicht willst, müsstest du auch bei ihm Bedenken haben.«
»Bei Tanijen weiß ich wenigstens, dass er mir nicht bei der ersten Welle aus dem Boot springt.« Der blonde Mann lächelte flüchtig.
»Ach wirklich?«, schnappte Inu. »Dann weißt du ja mehr von diesem Navigator als ich.«
»Sie ist kräftig genug, zum Rudern wird es gehen«, sagte Tanijen ruhig.
Sabin funkelte ihn an. »Du kannst einen Glashai von einem Snai unterscheiden und weißt, was zu tun ist, wenn ein brennender Fisch ins Boot springt, aber sie nicht! Ich wette, der Strohhut da beherrscht nicht einmal den einfachsten Seemannsknoten…«
»Hört auf!«, schrie Amber. Gegen ihren Willen stiegen ihr Tränen der Wut in die Augen. Ihre Hände hatten sich ganz von selbst zu Fäusten geballt. »Ich komme nicht mit«, stieß sie hervor. »Und als Ersatz schon gar nicht! Lieber fresse ich Messerklingen, als mit euch aufs Meer zu gehen!«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und schritt davon. Nasser Kies knirschte unter ihren Schuhen. Am liebsten wäre sie davongerannt, aber sie zwang sich dazu, das Kampffeld würdevoll zu verlassen. Krampfhaft presste sie die Lippen zusammen. Am meisten schmerzten Sabins Worte. Strohhut hatte sie sie genannt! Das war die abfällige Bezeichnung der Küstenbewohner für die Bauern, die auf den Anhöhen Ziegen züchteten. Und das Schlimmste war, dass sie sich trotz ihres Stolzes schämte. Sah man ihr wirklich so deutlich an, dass sie von einem Gehöft stammte?
Rasche Schritte ertönten hinter ihr, doch sie drehte sich nicht um, sondern zog die Schultern hoch und ging schneller.
»He! Augenblick mal! Warte doch!« Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Schmerz zuckte durch die Prellung und Amber fuhr herum und schlug die Hand weg. Der Navigator ließ sofort von ihr ab.
»Es tut mir leid«, sagte er verlegen und überrumpelte sie damit so sehr, dass sie stehen blieb. »Das war nicht… fair. Und höflich schon gar nicht.«
Der Navigator hatte braune Augen mit goldenen Sprenkeln. In der Sonne leuchteten sie und irritierten Amber noch mehr.
»Warum entschuldigst du dich?«, sagte sie schließlich. »Du hast mich nicht beleidigt!«
»Hier in Dantar gehören die Mannschaften zusammen. Jeder steht für die anderen ein.«
»Ach wirklich? Davon habe ich nichts gemerkt.«
»Eben. Dafür entschuldige ich mich. Inu hat dich als Teil der Mannschaft mitgebracht und wir haben dich behandelt wie einen Eindringling. Das war nicht höflich.« Er schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln und streckte ihr die Hand hin. »Dass ich Tanijen heiße, hast du ja schon gehört. Tanijen Calminar Denas.« Drei Namen! Es gab selten Augenblicke, in denen Amber sich kleiner fühlte, als sie war, doch das hier war einer davon. »Und ich bin sicher, du bist eine sehr gute Ruderin«, fügte Tanijen vorsichtig hinzu.
»Dann finde ich bestimmt auch Arbeit auf einem anderen Boot.«
Seine Hand verharrte noch einige Sekunden in der Luft, doch als ihm bewusst wurde, dass Amber sie nicht ergreifen würde, zog er sie zurück. Er seufzte. »Sabin und einige Taucher haben gestern die Ausbeute von fast zehn Tagen verloren. Sie braucht diesen Auftrag.« Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Du hast es ja gehört: Ich springe auch für einen Ruderer ein, der nicht gekommen ist. Also nimm es ihr nicht übel, dass sie so grob war. Sie hat manchmal eine scharfe Zunge, aber du musst mir glauben, dass sie dich nicht beleidigen wollte.«
»Und du kannst mir glauben, dass ich jedem anderen für den ›Strohhut‹ ein paar Fausthiebe versetzt hätte. Ihr Küstenbewohner seid so nett und höflich, wenn ihr Gästen begegnet, aber ihr werdet sofort fischkalt, wenn diese Gäste etwas von euch brauchen. Ich habe auch alles verloren, was ich hatte, aber ich komme deshalb noch lange nicht auf die Idee, euch als Snaifressen oder Fischhäute zu beschimpfen!«
Sie atmete durch und fühlte sich mit einem Mal etwas besser.
Zu ihrer Überraschung lächelte er wieder, aber sie fühlte sich nicht verspottet. »Wie heißt du?«, wollte er wissen.
»Das dürfte für dich wohl kaum mehr eine Rolle spielen.«
Die goldenen Sprenkel leuchteten in der Sonne. Tanijen lächelte wohl oft, denn dort, wo feine Fältchen seine Augen umgaben, war die Haut nicht gebräunt.
»Es spielt eine Rolle!«, sagte er eindringlich. »Bitte lass mich mit den anderen Snaifressen und Fischhäuten nicht allein auf dem Boot.«
Sie zögerte. Wieder
Weitere Kostenlose Bücher