Die Sturmrufer
überrumpelte sie die Aufrichtigkeit in seiner Stimme. Diese Nähe war ungewohnt und irritierte sie. Und einen Augenblick kämpfte sie gegen den Impuls an, zurückzulächeln, obwohl sie vor Wut immer noch kochte.
Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie tatsächlich keine Lust, sich so schnell geschlagen zu geben. Hier war der erste Auftrag. Noch dazu einer für Sumal Baji! So betrachtet hatte Inu ganz logisch gehandelt: Leute wurden gebraucht, Leute wurden beschafft, mit Geld oder mit guten Worten. Mit dieser Logik sollte sie umgehen können, ohne beleidigt zu sein, oder nicht?
»Amber«, sagte sie schließlich. »So heiße ich. Und da ich aus den Bergen komme, habe ich keinen zweiten Namen. Und einen dritten schon gar nicht.«
»Der Name passt zu dir. Du leuchtest wirklich wie Bernstein.«
Verlegen strich sie sich eine Strähne hinter das Ohr und sah sich nach der Werkstatt um. Der Bootsmacher hatte sich zu Sabin und Inu gesellt. Inu sah zerknirscht drein, Sabin aber hatte die Arme verschränkt und kniff die Lippen zusammen.
»Was ist jetzt?«, fragte der Bootsmacher ungeduldig. »Ihr seid nicht die Einzigen, die ein Boot benötigen!«
»Wir fahren!« Amber staunte darüber, wie selbstsicher ihre Stimme klang. Trotzdem kostete es sie Überwindung, zur Gruppe zurückzugehen.
Sabin presste die Lippen noch fester zusammen. Erst als Inu ihr einen kleinen Schubs gab, machte sie einen Schritt auf Amber zu und streckte ihr die Hand hin. »Ich bin Sabin Satinamal. Ich… wollte eben nicht unhöflich sein. Willkommen.« Ihre blauen Augen sagten etwas ganz anderes. Amber ignorierte ihre Hand. »Ich werde rudern, Sabin. Aber wenn du mich noch einmal Strohhut nennst, wirst du mein Ruderholz küssen, bevor du den Mund wieder zumachen kannst.«
Einen Augenblick maßen Amber und Sabin sich mit Blicken, dann drehte die Taucherin sich auf dem Absatz um. »Zum Wasser!«, rief sie ärgerlich.
Es war das Boot, das der Gehilfe des Bootsmachers vorher auf Lecks untersucht hatte. Ausgerechnet! Schon vorher war es Amber viel zu klein erschienen, jetzt aber kam es ihr kaum größer vor als ein tanzender Korken in einem See.
»Wie sollen wir die ganzen Kisten und das Treibgut in dieses kleine Boot bekommen?«, fragte sie in die Runde.
Sabin schnaubte verächtlich, als hätte sie eben etwas sehr Dummes gehört.
Tanijen deutete auf ein flaches Floß am Ufer. »Das schleppen wir mit. Für den Fall, dass noch ein Sturm aufkommt, können wir das Seil kappen und laufen nicht Gefahr, mit einem überladenen Boot unterzugehen.« Er lächelte entschuldigend. »Tja, ein größeres Boot ist heute im ganzen Hafen nicht mehr zu finden. Wir können froh sein, von Low wenigstens diese kleine Kabaka-Schale bekommen zu haben.«
Wunderbar! Auf die Idee, dass ein zweiter Sturm drohen könnte, war Amber noch gar nicht gekommen. Doch Tanijen ließ ihr keine Zeit, darüber nachzudenken. »Los, fass mit an!«
Es ließ sich nicht vermeiden, dass die Wellen ihre Hosen bis zu den Knien durchnässten. Mit der Berührung des Wassers kehrte die Aufregung zurück. Vor ihr war das Meer – eine dunkelblaue Fläche, bedrohlich und tief. Es verbarg seine Geheimnisse vor ihr und sie fühlte sich, als müsste sie über den schmalen Grat einer Schlucht balancieren.
»So zögerlich?«, spottete Sabin und sprang mit Schwung ins Boot. Das Gefährt kam ins Schaukeln, dass einem schon beim bloßen Anblick schlecht werden konnte. Der hölzerne Rand löste sich von Ambers Händen. Amber erschrak. Wenn das Boot auf das Meer trieb, würde sie es nicht mehr erreichen! Instinktiv nahm sie Anlauf, bekam den Bootsrand zu fassen und kletterte in die schaukelnde Nussschale. In diesem Augenblick war ihr sogar Sabins spöttischer Blick gleichgültig. Tanijen und Inu schoben das Floß ins Wasser und vertäuten es mit wenigen geübten Griffen am Boot. Dann wateten sie bis zu den Hüften ins Wasser und stiegen von beiden Seiten auf, um das Boot nicht zum Kentern zu bringen. Es knarrte bedenklich.
»Du nimmst das Ralruder«, sagte Tanijen. Amber hatte keine Ahnung, was ein Ralruder von einem normalen Ruder unterschied, also wartete sie, auf welche Seite sich Tanijen setzte, und beobachtete dann jeden seiner Handgriffe, um sie auf der anderen Bootsseite spiegelbildlich nachzumachen. Mit zugeschnürter Kehle beobachtete sie, wie das überschwemmte Ufer sich immer weiter entfernte.
Wenigstens das Rudern war einfacher, als sie gedacht hatte. Es tat gut, die Muskeln anzuspannen und sich
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