Die Sünde aber gebiert den Tod
ließ den Prior verstummen, und nach kurzer weiterer Beratung entschloss man sich, den derzeit amtierenden Vizevogt einzuschalten. Pater Ivo stimmte dem mit Vorbehalt zu, er hatte Wigbold Raboden schon kennen gelernt und hieltnicht übermäßig viel von dessen geistigen Gaben. Aber Verachtung für die schlichteren Gemüter war sein persönliches Laster, und er übte sich darin, es zu bekämpfen. Manchmal gelang es ihm.
14. Kapitel
B egleitest du mich, Almut?« »Natürlich, Gertrud. Ich habe es dir doch versprochen.«
Das Christfest war vorüber. Die knochige Köchin hatte sich von ihrem Krankenlager erhoben, um sich dem Urteil des Apothekers und der Prüfmeister von Melaten zu stellen. Jetzt stand sie bereit, ordentlich in ihre graue Beginen-Tracht gewandet und ihr Gebände streng und fest um den Kopf gelegt. Sie hustete zwar noch immer, doch die Ruhe und das reichhaltige Essen der vergangenen Tage hatten sie sichtlich gestärkt. Indessen waren die Knoten an ihren Zehen nicht zurückgegangen, und voller Angst und Entsetzen hatte sie Almut auch eine gerötete Schwellung an den Ohren gezeigt, die jetzt unter dem Schleier verborgen waren.
»Meister Krudener hat zugesagt, ebenfalls anwesend zu sein. Er bringt den Aussätzigen häufig Arzneien und Räuchermittel, er kennt sich mit dieser Krankheit aus.«
»Ich auch, und es ist der Aussatz!«
»Gertrud, überlass das Urteil denen, die sich täglich damit befassen.«
Schon in guten Zeiten war Gertrud von mürrischem Wesen, die Krankheitsanzeichen, die sie in den letzten Wochen geplagt hatten, und die beständige Angst vor den Folgen hatten sie unangenehm missmutig gemacht, und sie war taub gegenüber jeder Form von Hoffnung.
So humpelte sie denn auf schmerzenden Füßen neben Almut her, die ebenfalls vorsichtig Fuß vor Fuß setzte, weil es unter der Schneedecke an vielen Stellen tückisch glatt war. Es war ein mühseliger Weg durch die halbe Stadt, denn das Siechenhaus lag an der großen Straße, die nach Aachen führte. Mit roten Nasen und steifgefrorenen Fingern klopften sie schließlich zur Mittagszeit an die Pforte des Spitals.
Gertrud krampfte die Hände zusammen und hatte die Lippen fest aufeinander gepresst, daher musste Almut es übernehmen, ihr Anliegen vorzutragen. Sie wurden in einen hellen Raum geführt, in dem sich eben eine schlanke Frau ankleidete. Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie leise schluchzte. Ein stämmiger junger Mann stand in der Ecke und blickte trostlos zu Boden. Das bittere Urteil war gesprochen worden, und für die Kranke würde nun das Leben in der äußeren Welt enden.
Meister Krudener, der Apotheker, stand auf und begrüßte Almut und Gertrud mit einem stummen Nicken. Die zwei anderen Männer und die drei Frauen, die Prüfmeister, gehörten zu den Siechen, die am längsten in dem Spital lebten. Sie trugen die vorgeschriebene weiße Kleidung, und eine der Frauen hatte ihr Gesicht mit Schleiern verhüllt.
»Wir möchten Frau Gertrud bitten, sich den notwendigen Untersuchungen zu unterziehen«, tat Meister Krudener der Runde kund und meinte dann zu der Begine gewandt: »Legt bitte zunächst Eure Kleidung ab.«
Zögernd befreite sich Gertrud von Umhang, Gebände, Obergewand und Unterkleid, zog die derben Schuhe aus und wickelte die Stoffstreifen von den geröteten Zehen. Währenddessen musste sie eine Reihe Fragenbeantworten, die sich auf ihren Lebenswandel, ihren Umgang und bisherige Krankheiten bezogen.
»Fühlt Ihr Euch zu Zeiten träge und lustlos?«
»Die letzten Wochen schon. Ja, doch, die letzten Wochen schon.«
»Leidet Ihr unter starkem Juckreiz?«
Gertrud zögerte irritiert, dann sagte sie: »Nein.« »Gut, habt Ihr verstärktes geschlechtliches Begehren empfunden?«
»Bitte? Ich bin eine Begine, wir haben Keuschheit gelobt.«
»Das ändert nichts am Empfinden. Habt Ihr?« »Nein.«
»Müsst Ihr häufig aufstoßen?«
»Nach dem Essen, das ich koche, muss man nicht aufstoßen!«
Trotz der betrüblichen Situation musste Almut ein Schmunzeln unterdrücken.
»Frau Gertrud ist die Köchin unseres Konvents, und sie ist eine Meisterin ihres Fachs!«, erklärte sie.
Dann betrachteten die sechs Prüfer im hellen Licht des Tages die geschwollenen Füße.
»Wir werden die Nadelprobe machen, Frau Gertrud. Habt keine Angst, es ist keine Tortur!« Die verschleierte Prüferin, der Stimme nach eine energische Frau in den mittleren Jahren, hatte einen mitfühlenden Blick in den Augen, als sie mit einer spitzen
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