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Die Sünde aber gebiert den Tod

Die Sünde aber gebiert den Tod

Titel: Die Sünde aber gebiert den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Nadel in Gertruds Zehen stach. Die schrie erschrocken auf.
    »Gut!«, murmelte die Frau. »Verzeiht, ich muss es noch ein paarmal an anderen Stellen wiederholen, um ganz sicher zu sein.«
    Die nächsten Male schrie Gertrud zwar nicht mehr, zuckte aber immer schmerzlich zusammen.
    Anschließend betrachteten die Prüfer ihre Nase und betasteten sie gründlich, auch ihre Finger, vor allem den Daumen untersuchten sie und baten sie dann, einige Töne zu singen.
    »Ich habe Husten.«
    »Das haben wir gemerkt. Singt dennoch, so gut ihr könnt.«
    Eine begnadete Sängerin war die Köchin nicht, doch die Töne des Psalms, den sie anstimmte, kamen klar und ohne Heiserkeit aus ihrer Kehle.
    »Kleidet Euch wieder an, Frau Gertrud«, bedeutete die Verschleierte der Köchin und wandte sich zu den fünf anderen Prüfern um. Sie berieten leise und kurz, während Almut ihrer Mitschwester half, die Kleidung wieder anzulegen.
    »Ihr solltet Eure Gichtknoten mit kühlen Umschlägen behandeln und Euren Husten auskurieren. Salbei- Tee, sagt man, hilft vorzüglich. Ansonsten werden wir Euch einen Brief ausstellen, der bestätigt, dass Ihr frei von Aussatz seid!«, verkündete die Verschleierte. Gertrud, die die ganze Untersuchung mit beherrschter Miene über sich hatte ergehen lassen, schwankte plötzlich und wäre beinahe gefallen, hätte die Prüferin nicht ihren Arm ergriffen. Dabei verrutschte ihr Schleier, und Almut sah mit Entsetzen, welche Zerstörung die Krankheit in diesem einst schönen Gesicht angerichtet hatte.
    »Dieses Schicksal bleibt Euch erspart, Frau Gertrud«, beruhigte sie die Begine leise, als sie mit einer Hand das Tuch wieder richtete.
    Auch Gertrud merkte man das Entsetzen an, und plötzlich brach es aus ihr heraus: »Können wir Euch mit irgendetwas hier helfen? Wir haben eine sehr kundige Apothekerin in unserem Konvent!«
    »Gegen den Aussatz gibt es keine Arzneien!«, kam es nüchtern von einem der Männer, der an einer Hand nur noch Stummel statt Finger hatte.
    Aber Almut nahm die Idee auf und meinte: »Auch andere Krankheiten mögen Euch befallen, und gegen die haben wir einige wirksame Mittel.«
    »Meister Krudener ...«, warf die Verschleierte ein.
    »Ja, ja«, krächzte dieser, »meine Konkurrentinnen versäumen es nie, auf ihre Leistungen aufmerksam zu machen! Aber nehmt das Angebot ruhig an, Frau Gerlis. Es wurde im Geist der Nächstenliebe geäußert, und ich kann bezeugen, wie vorzüglich die Beginen mit Kräutern umgehen können!«
    »Je nun, da gibt es natürlich gerade jetzt viele Fälle von Gliederreißen, Halsweh und Frostbeulen. Wir wären Euch dankbar für Mittel, die gerade diese Schmerzen lindern.«
    Während Almut sich mit Frau Gerlis unterhielt, verließen die Prüfmeister den Raum, und Meister Krudener kümmerte sich um Gertrud, indem er ihr einige Vorschläge machte, wie sie ihre Gelenke behandeln sollte.
    Almut erinnerte sich an das junge Paar, das sie zuvor in dem Untersuchungsraum angetroffen hatten, und meinte: »Das arme Kind, das wir vorhin gesehen haben, hat das schlimmere Los gezogen?«
    Frau Gerlis nickte. »Ja, sie trug eindeutige Zeichen. Schmerzunempfindliche Gliedmaßen, raue Stimme, und in der Nase hat schon die Zersetzung begonnen. So ein trauriges, junges Leben, und sie geht mit einem Kind schwanger. Manchmal ist es sehr schwer für uns, das Urteil fällen zu müssen. Aber es ist notwendig. Keiner von uns weiß, wie diese Krankheit sich ausbreitet. Manche, selbst die, die hier für uns arbeiten, bekommen sienie, andere schon in jungen Jahren. Es heißt, sie sei eine Strafe Gottes für die Sünden, die der Mensch begangen hat. Das mag sein, doch mich wundert’s, wie viele Sünder gesund und ohne Aussatz leben. Und manche, die hier sind, haben ein wahrhaft christliches Leben geführt. Ich weiß nicht, ob ich das glauben kann. Seht, bei mir ist die Krankheit in meinem vierzigsten Lebensjahr ausgebrochen, und zwölf Jahre lebe ich nun schon hier.«
    »Ihr scheint Euch damit abgefunden zu haben?«
    »Oh, was bleibt sonst übrig? Immerhin haben wir hier warme Unterkunft, Kleidung und immer reichlich zu essen. Wir arbeiten, soweit wir dazu in der Lage sind; wenn wir krank sind, werden wir gepflegt, schwere Arbeit nehmen uns die Mägde und Wäscherinnen ab, und Hans, der Schellenknecht, bringt oft reichlich Almosen mit, so dass wir an nichts Not leiden.«
    »Außer an Gesellschaft mit anderen.«
    »Je nun. Das ist am Anfang schwer. Aber auch wenn wir in der Gemeinschaft für tot

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