Die Sünde der Brüder
ausgetrunken war und man mehr holen ließ, und am Ende war das ganze Geld für das Begräbnis ausgegeben, und für das Leichentuch war kein Penny mehr übrig.
»Also hat sie es noch einmal getan«, sagte der Junge.
»Hat was - noch eine Totenwache abgehalten?«
»Aye, Sir. Die Leute hatten Kitty gern. Und es gab Leute, die es erst später erfahren haben und beim ersten Mal nicht kommen konnten, und so …« Er richtete den Blick zögernd auf den offenen Hauseingang. Jemand hatte die Tür im Inneren wieder geschlossen, und der Gestank hatte nachgelassen, obwohl er noch in der Luft hing, deutlich selbst inmitten der zahllosen anderen Gerüche des Krähennestes.
»Wie lange liegt diese Leiche denn jetzt schon da?«, wollte Tom durch sein Taschentuch hindurch wissen.
»Fast zwei Wochen«, sagte der Junge. »Sie hat sechsmal eingeladen, die alte Ma, und war dabei die ganze Zeit betrunken wie ein Seefahrerpapagei. Die Leute, die unten wohnen, haben natürlich schon lange die Nase voll -«, er wies auf das fensterlose Gebäude, »- aber als sie versucht haben, sich zu beschweren, haben die Trauergäste, die noch nichts bekommen hatten, sie vor die Tür gesetzt. Also ist Rose Behan - sie wohnt unten, mit ihren sechs Kindern -, sie ist zu Rafe und Mick gegangen, um sie zu bitten, sich darum zu kümmern. Deswegen dachte ich, Sir - ich will Euer Ehren ja nicht davon abhalten, eine gute Tat zu tun - aber vielleicht solltet Ihr noch warten?«
»Vielleicht sollte ich das«, murmelte Grey. »Wie lange…«
Die Tür im Inneren flog heftig auf - er hörte den Knall, und das Miasma verdichtete sich wieder, ein Geruch, den man beinahe sehen konnte. Etwas rumpelte die Treppe herunter, und das Flötenspiel brach abrupt ab. Streitende Stimmen und trampelnde Schritte, und einige Sekunden später kam ein älterer Herr, der alles andere als nüchtern war, unter Gemurmel rückwärts aus dem Gebäude gestolpert.
Er hielt die Knöchel einer fetten, heruntergekommenen Frau umklammert, die er langsam über die Schwelle zerrte. Entweder war die Frau selbst tot, oder sie hatte sich bewusstlos getrunken; soweit Grey das beurteilen konnte, war das relativ gleichgültig. Ihr Kopf rumpelte über das Straßenpflaster, das verklebte Haar entwischte aus ihrer Haube, und die zerlumpten Röcke rutschten ihr über die speckigen Oberschenkel hoch. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn schon um seines eigenen Anstands willen den Blick abwenden, von ihrem ganz zu schweigen.
Am Ende dieser kleinen Prozession folgte einer der Gebrüder O’Higgins, der jetzt stirnrunzelnd den Kopf aus dem Hauseingang steckte.
»Also, Paulie, jetzt bring die alte Schlampe nach Hause zu deiner Frau und sieh zu, dass sie erst wieder auftaucht, wenn die arme Kitty unter der Erde liegt, ja?«
Der Alte schüttelte unter zahnlosem Gemurmel skeptisch den Kopf, setzte seinen mühseligen Weg durch die Gasse jedoch fort, wobei der ausladende Hintern seiner Begleiterin eine breite Furche in den Bodenbelag aus Laub, Hundehaufen und Kaminasche grub.
Erst jetzt schien O’Higgins Grey zu bemerken.
»Und was führt Euer Ehren in die O’Grady Street?«
Grey hustete und steckte sein Taschentuch ein.
»Ich habe Euch einen Vorschlag zu machen, Mr. O’Higgins, der für uns beide von Vorteil sein könnte. Falls es einen etwas weniger ungesunden Ort gäbe, an dem wir uns unterhalten können?«
Grey ließ Tom mit gezogener Pistole auf dem Kutschbock sitzen und folgte den Brüdern in ein heruntergekommenes Wirtshaus, in dem ihre bloße Gegenwart aureichte, um ein kleines Hinterzimmer für sie zu leeren; offenbar hatte er sich in Bezug auf ihren Einfluss in St. Giles nicht verschätzt.
Er konnte sie immer noch nicht mit Gewissheit voneinander unterscheiden, doch das spielte wohl auch keine Rolle. Rafe war der Ältere; also war er wahrscheinlich derjenige, der am meisten redete. Doch sie hörten seinem Vorschlag beide gebannt zu und äußerten keine ernsthaften Einwände.
»Jack Flynns Abschiedsfest?«, sagte Rafe - zumindest vermutete er, dass es Rafe war - und lachte. »Oh, das wird eine große Sache. Es heißt, er hat seiner Liebsten seine ganze Beute überlassen und ihr aufgetragen, sie bis auf den letzten Heller für Schnaps auszugeben.«
»Dann glaubt Ihr, dass viele Leute kommen werden?« Jack Flynn war ein berüchtigter Straßenräuber, der in zwei Tagen in Tyburn gehängt werden sollte. Wie so viele bekannte Diebe würde auch er ein großes »Abschiedsfest« in
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