Die Sünde der Brüder
Percival Wainwright wusste Grey nichts mehr mit sich anzufangen. Er war noch nicht gesund genug, um seinen Dienst wieder anzutreten, aber zu gesund, um im Bett zu bleiben, und so war er niedergeschlagen und nervös zugleich und konnte sich auf nichts konzentrieren. Seine Familie überließ ihn - mitfühlend, aber erleichtert - weitgehend sich selbst.
Am Morgen des 13ten Oktober stand er im Garten seines Bruders und beschäftigte sich missmutig damit, Brotstückchen in den Fischteich zu werfen und Dankbarkeit dafür aufzubringen, dass er nicht vor einem Kriegsgericht stand.
Erst nach einiger Zeit wurde ihm bewusst, dass Tom Byrd neben ihm stand.
»Was?«, sagte er, und seine Niedergeschlagenheit ließ seinen Tonfall sehr abrupt ausfallen.
»Da sind ein paar von diesen Iren, Mylord«, sagte Tom, dem anzuhören war, dass er im Namen des gesamten Haushalts sprach, und dass der Haushalt alles andere als begeistert war.
»Was denn für Iren?«
»Kesselflicker, Mylord. Aber sie behaupten, Ihr würdet sie kennen?« Der fragende Ton dieser Aussage drückte aus, für wie unwahrscheinlich Tom dies hielt.
»Oh, Seine Ehren sind bestens mit uns bekannt.«
Tom fuhr herum und starrte zutiefst beleidigt auf die beiden zerlumpten, unrasierten Gestalten, die grinsend direkt hinter ihm standen.
»Kesselflicker?«, sagte einer von ihnen und stieß Tom im
Vorübergehen vertraulich mit dem Ellbogen an. »Hältst dich wohl selbst für was Besseres, wie, Junge?«
»Mr. O’Higgins. Und Mr. O’Higgins.« Trotz seiner Überraschung spürte Grey, wie ihm ein ebenso ungewohntes wie unwillkürliches Lächeln ins Gesicht stieg. Er hatte nicht damit gerechnet, sie je wiederzusehen.
»Höchstpersönlich, Mylord.« Einer von ihnen - Rafe? - verbeugte sich respektvoll. »Wir bitten um Verzeihung, Sir, dass wir länger fort waren als genehmigt. Wir mussten noch ein paar dringende Familienangelegenheiten regeln. Eure Lordschaft wissen sicherlich, was ich meine.«
Grey bemerkte, dass Mick - falls es Mick war - einen dicken Verband am Arm trug. Der Verband war relativ frisch, hatte aber Blutflecken.
»Ein Unfall?«, erkundigte er sich. Die Gebrüder wechselten einen Blick.
»Hundebiss«, sagte Mick ausdruckslos und schob die verletzte Hand in seine Tasche. »Aber ich habe den Schreck überwunden, Euer Ehren. Wir sind nämlich hier, um uns kerngesund zum Dienst zu melden.«
Was bedeutete, so vermutete Grey, dass Irland im Augenblick ein zu heißes Pflaster für sie war und sie die Absicht hatten, ihre Zuflucht in der Armee zu suchen. Wieder einmal.
»Ist das so?«, fragte er trocken.
»Aye, Sir. Nachdem wir der Dame Eure Nachricht sicher überbracht haben - und sie uns einen Brief mitgegeben hat, den wir Euch bei unserer Rückkehr überreichen sollen.« Der Ire tastete mit der unverletzten Hand in seinem Rock herum, ohne jedoch zu finden, wonach er suchte. »Hast du ihn, Rafe?«
»Natürlich nicht, du Tollpatsch. Du hattest ihn doch.«
»Nein, bestimmt nicht. Ich glaube, du hattest ihn zuletzt.«
»Oh, du gottverdammter Lügner, nein!«
Grey verdrehte die Augen und nickte Tom zu, der mit gequälter Miene in seine Tasche griff und eine Handvoll Geldstücke zum Vorschein brachte.
Nachdem sie den Brief dann wundersamerweise entdeckt hatten, nahmen die Brüder O’Higgins - unter zahlreichen Beteuerungen ihrer Unwürdigkeit - dankbar eine weitere großzügige Belohnung entgegen und wurden dann entlassen, um sich bei Hauptmann Wilmot in der Kaserne zu melden. Grey war sich sicher, dass Wilmot überglücklich sein würde, sie wiederzusehen.
Er schickte ihnen Tom hinterher, um sicherzugehen, dass die Brüder das Haus auch tatsächlich verließen, und zwar ohne dabei irgendwelches Besteck oder anderen Zierrat mitgehen zu lassen. Als er dann allein war, holte er den Brief hervor.
Er war in einer Handschrift, die er nicht kannte, ohne weitere Angaben an »Major John Grey« adressiert. Sein Herz schlug unwillkürlich schneller, und er hätte nicht auf die Bibel schwören können, ob Furcht oder Hoffnung der Grund dafür war.
Er fuhr mit dem Daumen in den Umschlag und bemerkte, dass er zwar versiegelt gewesen war, das Siegel aber fehlte; das Wachs hatte nur einen rötlichen Fleck hinterlassen. Das war natürlich zu erwarten - obwohl er sich sicher war, dass die Gebrüder O’Higgins behaupten würden, den Brief in diesem Zustand erhalten zu haben, wenn man diesbezüglich in sie drang.
Der Brief bestand aus mehreren Seiten; die erste
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