Die Sünde der Brüder
Butler an der Tür mit der Nachricht empfangen zu werden, dass sein Bruder nach Bath gereist war.
»Das stimmt tatsächlich«, versicherte ihm seine schwangere Schwägerin, die hinter dem Butler auftauchte. Sie lächelte über seine hochgezogene Augenbraue und streckte die Hand aus, um hinter sich in den Flur zu weisen. »Du kannst gern das Haus durchsuchen.«
»Warum zum Teufel ist er denn in Bath?«, wollte Grey gereizt wissen. »Bei diesem Wetter?«
»Das hat er mir nicht gesagt«, sagte Minnie gleichmütig. »Komm doch herein, John. Du siehst aus wie ein Schneemann, und du musst völlig durchnässt sein.«
»Nein, danke. Ich muss -«
»Du musst hereinkommen und mit uns essen«, sagte sie bestimmt. »Deine Neffen vermissen ihren Onkel John. Und dein Magen knurrt; ich kann es bis hier hören.«
Das stimmte, und als er dem Butler seine nassen Überkleider reichte, empfand er mehr Dankbarkeit als er sich anmerken ließ.
Doch das Abendessen wurde kurz aufgeschoben, damit er dem Kinderzimmer einen Besuch abstatten konnte. Der sechsjährige Benjamin und der fünfjährige Adam freuten sich so lauthals über den Anblick ihres Onkels, dass der dreijährige Henry aufwachte und in das Freudengeschrei einstimmte. Nachdem sie eine halbe Stunde Ritter und Drache gespielt hatten - Grey durfte der Drache sein und brüllen und Feuer speien, musste allerdings schließlich auf dem Kaminläufer eines schändlichen Todes sterben, da man ihm ein Lineal ins Herz stieß -, hatte er viel bessere Laune, aber auch Bärenhunger.
»Du bist ein Engel, Minerva«, sagte er und schloss die Augen, um den herzhaften Duft des Stücks Fischpastete, das man vor ihn hinstellte, besser genießen zu können.
»Das wirst du aber nicht mehr denken, wenn du mich noch einmal Minerva nennst«, sagte sie zu ihm und nahm sich selbst ein Stück. »Ich habe einen schönen Rheinwein dazu - oder ist dir ein Franzose lieber?«
Grey hatte den Mund voller Fischpastete, bemühte sich aber, mit den Augenbrauen zu signalisieren, dass er trinken würde, was immer sie aussuchte. Sie lachte und ließ den Butler beides holen.
Da sie offensichtlich wusste, was ein Mann brauchte, behelligte sie ihn nicht mit dem Versuch, sich mit ihm zu unterhalten, bis er aufgegessen hatte: Fischpastete, kalten Schinken mit eingelegten Zwiebeln und Gürkchen, exzellenten Käse und eine große Portion Pudding, auf den Kaffee folgte.
»Minnie, du hast mir das Leben gerettet«, sagte er nach dem ersten Schluck des duftenden heißen schwarzen Elixiers. »Ich bin dein ergebenster Diener.«
»Ach ja? Oh, gut. Jetzt«, sagte sie und lehnte sich mit einer Miene genüsslicher Überlegenheit zurück, »kannst du mir alles erzählen.«
»Alles?«
»Alles«, sagte sie entschlossen. »Ich habe das Haus seit zwei Monaten nicht mehr verlassen, deine Mutter und Olivia sind zu sehr mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt, um mich
zu besuchen, und dein missratener Bruder erzählt mir kein Wort.«
»Nicht?« Das überraschte Grey. Minnie war Hals zweite Ehefrau - nachdem er ein Jahrzehnt lang als Witwer gelebt hatte -, und er hatte immer gedacht, die beiden stünden sich nahe.
»Natürlich spricht dein Bruder hin und wieder mit mir«, räumte sie schwach amüsiert ein. »Doch er ist ein Anhänger der merkwürdigen Theorie, dass man schwangere Frauen von allem fernhalten muss, was auch nur ansatzweise anregend ist. Ich habe seit Wochen kein anständiges Gerücht mehr gehört, und er versteckt die Zeitungen vor mir - wahrscheinlich, weil er fürchtet, dass ich irgendein blutrünstiges Geständnis eines zum Tode Verurteilten auf dem Tyburn Hill lese und das Kind mit einer Galgenschlinge um den Hals geboren wird.«
Grey lachte - doch dann fiel ihm die Flugschrift in seiner Rocktasche ein, und er dachte, dass sein Bruder zumindest, was die Zeitungen anging, gar nicht so unklug handelte. Er erzählte ihr aber nun gehorsam von seinen Erlebnissen in Lady Jonas’ Salon, einschließlich der Anekdote mit dem Gedichtbändchen des Sub-Genius, die Minnie so heftig zum Lachen brachte, dass sie sich an ihrem Kaffee verschluckte und der Butler ihr auf den Rücken hämmern musste.
»Keine Angst«, sagte sie und wischte sich mit der Serviette über die Augen. »Ich werde Lucinda Joffrey die Identität des Autors schon entlocken, wenn ich sie das nächste Mal sehe, und sie dir mitteilen. Du bist also mit dem neuen Bruder dort gewesen, ja? Wie ist er denn so?«
»Oh … sehr angenehm. Gut erzogen, gute
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