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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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irrtümlicherweise nach zwei Erzengeln benannt, kürzten sie ihre Taufnamen Raphael und Michael für den täglichen Gebrauch zu Rafe und Mick ab. Sie waren zwar keine Zwillinge, doch sie sahen sich so ähnlich, dass sie sich oft als der jeweils andere ausgaben, um Schwierigkeiten zu entgehen - in die sie meistens gemeinsam geraten waren.
    Er war fest davon überzeugt, dass sie aus der irischen Brigade desertiert waren. Doch der rekrutierende Sergeant hatte ihnen ihren Schilling und ihre Uniformen schon gegeben, als Grey sie zum ersten Mal sah. Sie waren nicht die schlechtesten Soldaten, obwohl ihr Unternehmergeist bisweilen alarmierendere Formen annahm als der der meisten anderen.
    Er blinzelte durch das Zwielicht in die Richtung, die sie eingeschlagen hatten. Natürlich war es der Weg zur Kaserne, obwohl es zu dunkel war, um die Gebäude durch die Bäume hindurch zu sehen. Er vermutete, dass die Brüder sich mit dort einquartierten Freunden zu einem Zechgelage mit Würfelspiel verabredet hatten - oder zu einem gesellschaftlichen Ereignis wie zum Beispiel einem Hahnenkampf. Als ihnen dann klar wurde, dass sie Bares brauchten, hatten sie auf ihre übliche schludrige, aber fantasievolle Weise improvisiert.
    Kopfschüttelnd trat er das Tonöfchen um und verstreute die glühenden Kohlen, die rot zischend im Schnee landeten und erloschen. Mit den O’Higgins-Brüdern würde er sich morgen befassen.
    Als er die Serpentine Road erreichte, war er völlig zugeschneit, sein Blut hatte sich merklich abgekühlt, und er bedauerte allmählich, dass er das Tonöfchen nicht mitgenommen
hatte, auch wenn das seiner Erscheinung nicht sehr zuträglich gewesen wäre. Trotz seiner Handschuhe waren seine Finger taub geworden, genau wie sein Gesicht, und seine Wangen waren so steif, dass er an den Mann denken musste, der am Abend zuvor vor dem Club auf dem Pflaster gelegen hatte.
    Die königlichen Schwanenwärter hatten die Schwäne in ihr Winterquartier gebracht, und der See war zugefroren, wenn auch nicht so fest, dass er ihm sein Gewicht anvertraut hätte. Unter der Schneedecke würden weiche Stellen unsichtbar sein, und das Letzte, was er jetzt brauchte, war, durch das Eis zu brechen und in eiskaltem Wasser und verfaulender Entengrütze unterzutauchen. Seufzend schlug er einen Bogen um den See.
    Nun, vielleicht würde er ja daran denken, Hal zu fragen, ob er etwas über die Identität und das weitere Schicksal des Mannes wusste, sobald die andere Angelegenheit erledigt war. Und wenn er einmal dabei war, Fragen zu stellen … die Ereignisse des Nachmittags hatten ihn das merkwürdige Verhalten seiner Mutter beim Frühstück fast vergessen lassen. Durch den Schock der Nachricht von Genevas Tod war er nicht sogleich darauf gekommen, ihre Reaktion auf die Erwähnung Jamie Frasers mit dem Auftauchen der Tagebuchseite in Hals Amtsstube in Verbindung zu bringen. Aus seiner gegenwärtigen Perspektive schien eine solche Verbindung nicht nur möglich zu sein, sondern sehr wahrscheinlich.
    Ob Hal wohl schon mit ihr gesprochen hatte? Wenn er zur Jermyn Street gekommen war, hatte er dies sehr unauffällig angestellt, entweder spät am vergangenen Abend oder sehr früh am Morgen. Nein. Nicht spät, sonst hätte Grey, der grübelnd am Fenster stand, ihn gesehen. Und nicht heute früh; seine Mutter hatte im Morgenrock beim Frühstück gesessen und wie jeden Morgen geblinzelt und gegähnt - sie kam eindeutig frisch aus dem Bett.
    Ihm kam noch ein Gedanke; womöglich hatte seine Mutter ja ebenfalls eine Seite aus dem verschollenen Tagebuch seines Vaters erhalten? Vielleicht mit der Morgenpost? Er verlangsamte seine Schritte ein wenig, und seine Stiefel begannen im
inzwischen zentimetertiefen Schnee auf dem Boden zu knirschen. Hatte sie nach Lady Dunsanys Post noch einen anderen Brief geöffnet? Er wusste es nicht mehr; er hatte nur auf Olivia geachtet.
    Die Vorstellung, dass es eine weitere Seite geben könnte, erfüllte ihn gleichzeitig mit Argwohn und Erregung. Es wäre die Erklärung für die plötzliche Nervosität seiner Mutter und für ihre heftige Reaktion auf die Erwähnung seines jakobitischen Gefangenen gewesen. Und wenn heute Morgen etwas Derartiges eingetroffen war, wusste Hal wahrscheinlich noch nichts davon.
    Das Blut stieg ihm brennend in die eisigen Wangen. Er wischte sich die schmelzenden Flocken von den Wimpern und schritt mit verschärfter Entschlossenheit durch den tiefer werdenden Schnee.
     
    Umso verblüffter war er, von Hals

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