Die Suende der Engel
kam ein entgeistertes: »Was?«
»Ja. Die Polizei war schon zweimal hier. Echinger telefoniert sich die Finger wund vor Sorge. Maximilian ist vor zwei Nächten durch ein Kellerfenster ausgebrochen.«
»Das kann doch nicht sein!«
»Ich erzähl’ dir keine Märchen. Sie haben Haftbefehl gegen ihn erlassen.«
Janets Stimme klang schwach vor Entsetzen. »Aber... aber warum? Er wäre doch im August rausgekommen!«
»Keine Ahnung, warum er so einen Unsinn macht. Echinger ist völlig von den Socken. Das Ganze ist ein Schlag in die Magengrube für ihn als behandelnden Therapeuten.«
»Ich versteh’ das nicht, ich...«
»Vielleicht will er zu Mario.«
»Zu Mario?«
»Ach, das weißt du ja auch noch nicht. Mario ist in Südfrankreich. Im Ferienhaus.«
Janet klang nun gänzlich ratlos. »Was macht er denn da?«
»Liebesurlaub. Er hat ein Mädchen kennengelernt, und die beiden...« Er unterbrach sich, denn er hörte ein eigenartiges Geräusch vom anderen Ende der Leitung, eine Art Seufzen, aber so gequält, so angstvoll, daß es wie ein kraftloser Aufschrei klang.
»Janet, was ist?« fragte er erschrocken.
Sie schien sich nur mühsam so weit zu fassen, daß sie sprechen konnte.
»Du hast ihn einfach so gehen lassen? Mit einem Mädchen? Du hast...«
»Janet, ich bitte dich, wie hätte ich ihn denn daran hindern sollen? Er ist vierundzwanzig Jahre alt. Und das Mädchen ist volljährig, wenn es das ist, was dich beunruhigt.«
»Wo hat er sie kennengelernt? Wann?«
»Offenbar schon vor längerer Zeit. Ich weiß nicht, wo und wie. Er hat nicht gesagt, warum er es geheimgehalten hat, aber ich nehme an, er dachte, wir werden automatisch nervös. Wegen... der Sache mit Maximilian damals.«
»O Gott!«
»Janet, Mario ist gesund. Du mußt nicht von einem auf den anderen schließen!«
Die Geschichte seinerzeit hatte sie entsetzlich getroffen, das wußte er. Ihn natürlich auch, aber auf andere Weise. Er war schockiert gewesen, daß so etwas in seiner Familie geschah, und hatte geglaubt, niemals wieder irgend jemandem in die Augen schauen zu können. Er war es auch gewesen, der darauf bestanden hatte, München zu verlassen und in den Norden zu gehen, wo niemand sie kannte, niemand Bescheid wußte. Sein Zustand hatte sich stabilisiert, als der Neuanfang geschafft war und Maximilian sicher hinter Klinikmauern saß. Sein Zustand stabilisierte sich immer, wenn es ihm gelungen war, die Dinge, die störten, zu verdrängen. Bis dann das Gebäude irgendwann krachend einstürzte, bis ihn einholte, was er von sich geschoben hatte.
Janet, für gewöhnlich Weltmeisterin im Davonlaufen, hatte diesmal nicht entkommen können. Nie hatte sie eine Distanz zu Maximilian und dem, was er getan hatte, herstellen können. Die Meinung der Leute war ihr ohnehin gleich gewesen, deshalb hatte sie nicht den geringsten Trost in Phillips perfekter Vertuschung des Sachverhaltes gefunden. Sie hatte sich Tag für Tag und Jahr um Jahr
gegrämt, hatte gegrübelt und mit fast masochistischem Eifer nach ihrer Schuld an dem Geschehen gefahndet. Und nun überfiel Panik sie, weil Mario vielleicht auch...
»Wirklich, mach dich jetzt nicht verrückt, Janet«, sagte Phillip beruhigend.
»Ich melde mich wieder«, rief Janet hastig und legte den Hörer auf.
Im Taxi vom Flughafen nach Hause sagte Michael zweimal, er würde am liebsten sofort zu den Beerbaums fahren. Karen legte ihm jedesmal beruhigend die Hand auf den Arm. »Wir rufen erst mal an. Sie können die Leute jetzt nicht derart überfallen.«
»Meine Tochter...«
»Ihre Tochter ist mit dem gesunden Zwilling in Südfrankreich. Der andere sitzt in einer Klinik. Er ist derzeit ungefährlich.«
Seit Karen von ihren Entdeckungen berichtet hatte, waren ihrer beider Rollen vertauscht. Karen erschien jetzt besonnen und vorsichtig, Michael war wie von Sinnen und wußte kaum, was er als nächstes tun sollte. Zuerst hatte er sofort nach Nizza fliegen wollen, aber er erfuhr, daß er an diesem Tag keinen Flug mehr würde bekommen können. Als nächstes wollte er zur Polizei, aber Karen machte ihm klar, daß das nichts nützen würde. »Was sollen die denn machen? Nach Mario fahnden, weil er der Bruder eines Straftäters ist? Die Familie verhaften, weil sie uns den mißratenen Sohn unterschlagen hat? Das ist nicht strafbar, Herr Staatsanwalt!«
Schließlich ließ sich Michael überreden, nach Hamburg zurückzufliegen.
»Wir sprechen mit den Beerbaums«, sagte Karen, »wir fordern sie auf, uns reinen Wein
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