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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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zusammenfaßte, drehte Corvey sich um und sandte Andrew ein sanftes Lächeln zu, musterte Janet mit einem Anflug von Verachtung in den Augen. Wieder spürte Janet das Grauen, das sie auch bei ihrer ersten Begegnung mit ihm beschlichen hatte. Sie drückte Andrews Hand, und er erwiderte dankbar den Druck.
    Janet entdeckte auch Freds Mutter im Gerichtssaal. Sie hatte sich fein gemacht, trug ein großblumiges Seidenkleid in Gelb und Türkis und hatte ihre Haare in eine frische Dauerwelle legen lassen, die zweifellos von einem schlechten Friseur gemacht worden war. Sie war krebsrot im Gesicht und bebte vor Angst.
    Neben ihr saß der junge Mann, der sie seinerzeit in das Restaurant begleitet hatte. Er schien beruhigend auf sie einzureden, aber es war ersichtlich, daß er sie nicht erreichte. Diese Frau, das erkannte Janet, war am Ende ihrer Kräfte. Ein Schuldspruch würde ihr das Herz brechen.
    Corvey machte ein Gesicht, als bilde er sich ein, er habe mit persönlicher Cleverneß das gesamte britische Rechtssystem ausgetrickst. Während sie ihn beobachtete, konnte Janet nur zu gut nachempfinden, was Andrew fühlte. Zorn auf die Ungerechtigkeit, die tatenlos hinzunehmen man aller Wahrscheinlichkeit nach gezwungen sein würde; Wut auf ein System, das zuwenig in der Lage war, die Opfer zu schützen; Schmerz über die Erkenntnis,
daß es weitere unschuldige Frauen das Leben kosten würde, ehe man Corvey mittels Beweisen ins Gefängnis verfrachten konnte. Janet wußte, daß Andrew Fred Corvey wortlos das Versprechen gab, ihn hinter Schloß und Riegel zu bringen, und wenn es das Letzte wäre, was er in seinem Leben tun würde.
    Es beschlich sie ein eigentümliches Gefühl, während sie die Strömung auslotete, die zwischen den beiden Männern verlief. Sie konnte einen so unendlich heftigen Haß spüren, der von Andrew ausging, daß es sie beklommen machte. Äußerlich war ihm nichts anzumerken, er war beherrscht wie immer. Etwas fahler im Gesicht als sonst vielleicht, aber das registrierte auch nur, wer ihn gut kannte. Doch im Innern brannte ein verzehrendes Feuer in ihm, das Feuer eines tödlichen Ehrgeizes, einer schrecklichen Unfähigkeit, Niederlagen einzustecken. Zum erstenmal, seitdem sie Andrew kannte, gewahrte Janet den Abgrund in ihm. Es dauerte nicht lange, nur für ein paar flüchtige Momente erschien es ihr fast greifbar, welch zerstörerische Kräfte in ihm wohnten, und sie erschrak davor. Dann verlor sich dieser Augenblick einer unbeweisbaren Intuition wieder; sie nahm den Saal wahr, die Menschen und Andrews vertrautes Gesicht. Auf einmal kam sie sich albern vor. Sie hatte einen unseligen Hang, Gespenster zu sehen, und sie tat sicher gut daran, sich selbst öfter zur Ordnung zu rufen.
    Die Jury zog sich zur Beratung zurück, kam aber nach einer beängstigend kurzen Zeit wieder in den Saal. Die Zuschauer - von denen jeder einzelne, bis auf Mrs. Corvey vielleicht, von Fred Corveys Schuld überzeugt war - kamen in den Genuß, den Angeklagten wenigstens noch einmal beunruhigt und angstvoll zu erleben. Bei aller Siegessicherheit schien es ihm doch zu dämmern, daß es sein könnte... Aber schon im nächsten Moment sprach ihn
die Jury aus Mangel an Beweisen von der Anklage des vierfachen Mordes frei.
    Von der alten Mrs. Corvey erklang ein Aufschrei, das Rot ihrer Wangen vertiefte sich, und sie brach in Tränen aus. Corveys Anwalt stand auf und schüttelte seinem Mandanten die Hand.
    Janet legte Andrew die Hand aufs Bein. »Das ist nicht das letzte Wort in dieser Sache«, flüsterte sie. »Beim nächsten Mal gewinnst du!«
    Sein Mund war nur ein dünner Strich. Er stand auf. Einen Moment lang kreuzten sich sein Blick und der Corveys. Auf Corveys Miene machte sich bereits der erste Anflug köstlichen Triumphes breit, aber er erlosch unvermittelt unter den unerbittlichen, unversöhnlichen Augen Andrews. Corvey wandte sich ab. Seine Mutter hatte sich zu ihm vorgedrängt und nahm ihn in die Arme. Ihr massiger Körper zitterte vor Schluchzen.
    »Komm«, sagte Andrew zu Janet, »wir gehen. Im Moment gibt es hier nichts mehr zu tun.«
    Sie verließen den Saal. Draußen lauerte eine Schar von Reportern, zu denen die Nachricht vom Freispruch bereits durchgedrungen war. Ein brünettes Mädchen im grauen Hosenanzug hielt Andrew ein Mikrophon unter die Nase.
    »Inspector Davies!« Sie war augenscheinlich über die Hauptpersonen des Dramas gut informiert. »Sie haben Fred Corvey festgenommen. Was empfinden Sie in diesem

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