Die Suende der Engel
Moment?«
Jetzt erst registrierte Janet, daß jemand einen gleißend hellen Scheinwerfer auf sie beide richtete, ein anderer eine laufende Kamera. Andrew hielt ihre Hand, während er antwortete.
»Nach dem Widerruf des Geständnisses hatte die Anklage nur Unzureichendes in der Hand«, sagte er, »und
so bitter dieser Freispruch für meine Kollegen und mich nun ist: Er basiert auf dem rechtsstaatlichen Prinzip der Beweispflicht des Anklägers und dem Grundsatz des in dubio pro reo. Selbst in Augenblicken wie diesem halte ich unser System für das beste von allen.«
Die Reporterin setzte zur nächsten Frage an, aber Andrew machte eine abwehrende Handbewegung, die klarstellte, daß er keine weiteren Statements zu geben bereit war. Janet hinter sich herziehend, drängte er durch die Menge der Journalisten. Ein paar Blitzlichter flammten auf. Man rief Andrew Fragen über Fragen zu, aber weder antwortete er, noch blieb er stehen. Erst unten auf der Straße hielt er inne.
»Du warst sehr gut eben«, lobte Janet in aufrichtiger Bewunderung, »sehr souverän. Ist es wirklich deine Ansicht, was du der Journalistin sagtest?«
Andrew nickte. »Es ist meine Ansicht. Verstandesmä ßig. Sie hat mich aber gefragt, was ich empfinde, und da hätte meine Antwort ehrlicherweise anders lauten müssen.« Er lächelte, sein müdes Gesicht hellte sich auf. »Meine Empfindung ist, daß ich mir wünschte, es hätte sich bei Corveys Festnahme eine Situation ergeben, die es erfordert hätte, die Waffe zu ziehen und ihn für alle Zeiten unschädlich zu machen.«
»Ich verstehe dich«, sagte Janet. Vorsichtig setzte sie hinzu: »Hast du schon einmal jemanden erschossen?«
»Nein. Noch nie.« Er wollte die Autotür aufschließen, hielt aber inne und drehte sich plötzlich zu Janet um. Er nahm ihr Gesicht zwischen die Hände, seine Finger gruben sich in ihre wirren, ungekämmten Haare.
»Es war so gut, daß du mitgekommen bist, Janet«, sagte er. Seine Stimme klang atemlos. »Ich habe es da drinnen gemerkt, was es mir bedeutet, dich an meiner Seite zu haben. Auch und gerade in solchen Momenten. Janet,
bitte, zieh deine Scheidung durch, so schnell du kannst. Heirate mich. Ich bin ein solcher Trottel, daß ich nicht...«
»Was?« fragte Janet leise.
»Daß ich nicht vor fünfundzwanzig Jahren gemerkt habe, daß ich niemand anderen haben will als dich.«
Sie hatte kaum je erlebt, daß er sich so preisgab. Es berührte sie zutiefst. Sie hob die Hände, legte sie über seine, die immer noch ihr Gesicht umschlossen.
»Laß uns nach Hause fahren«, sagte sie.
Zuerst war er hin- und hergerissen gewesen zwischen seinem Wunsch, mit Janet zu sprechen, und seiner Angst, ein solches Gespräch nervlich nicht durchzustehen. Als er sie beim ersten Anruf in Andrew Davies’ Wohnung am Apparat gehabt hatte, hatte er sofort wieder aufgelegt. Von da an hatten zwischen jedem Versuch, sie erneut zu erreichen, große Abstände gelegen, und wenn sich niemand meldete, war er beunruhigt gewesen, frustriert und in irgendeinem Winkel seiner Seele auch erleichtert.
An diesem Freitag nun probierte es Phillip etwa jede halbe Stunde in London, und jetzt fühlte er sich nicht mehr gespalten dabei. Er wollte Janet sprechen. Er hatte keine Lust mehr, die Dinge hinzunehmen, wie sie waren, und zu warten, bis sich Janet zu einer Erklärung herablassen würde. Er sah auch nicht ein, daß er die Geschichte mit Maximilian allein durchstehen sollte. Am frühen Morgen war die Polizei bei ihm gewesen und hatte gefragt, ob er neue Informationen habe. Ziemlich scharf hatte er entgegnet, in diesem Fall hätte er sich schon von selbst gemeldet. Dann hatte zu allem Überfluß Professor Echinger angerufen und seine Besorgnis kundgetan. Das wiederum hatte Phillip erneut in das unschöne Gefühl gestürzt, als Schlappschwanz vor dem Professor dazustehen. Zum erstenmal, seitdem er mit Janet verheiratet war
und praktisch in einem ständigen Schlamassel lebte, verspürte er Wut - wirkliche Wut, nicht bloß Ärger, Gereiztheit oder einen sekundenlang aufflammenden Zorn. Eine langsam, aber stetig hochkochende Wut; eine Wut, die sich durch unzählige Schichten von Abgeklärtheit, Vernunft, Verdrängung arbeiten mußte und dabei an Kraft gewann. Am Ende, das ahnte er, würde eine Explosion stehen und der kaum bezähmbare Wunsch, Janet zu ohrfeigen, bis sie schluchzend um Verzeihung bat. Da er sich dies noch nie gewünscht, nicht einmal in seinen finstersten Träumen daran gedacht hatte,
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