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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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fühlte er sich in höchstem Maße verwirrt.
    Es war gegen fünfzehn Uhr, als drüben in London endlich der Telefonhörer abgenommen wurde.
    »Hallo?« fragte eine Männerstimme.
    Phillip schluckte. Er brauchte zwei Sekunden, um sich zu fassen, dann fragte er: »Mr. Davies?«
    »Ja, hier ist Andrew Davies.«
    »Hier ist Phillip Beerbaum. Könnte ich bitte meine Frau sprechen?«
    Zu Phillips Genugtuung war nun Davies für einen Moment aus dem Konzept gebracht. Nach einer kurzen Pause sagte er sehr förmlich: »Einen Augenblick, bitte!«
    Janets Stimme klang gepreßt. »Phillip? Wir sind vor einer Minute nach Hause gekommen.«
    »Ich habe mehrmals versucht, dich zu erreichen.«
    »Das tut mir leid.«
    Er räusperte sich. Auf eine fast unheimliche Weise war während der wenigen Sätze, die sie gewechselt hatten, seine Wut verraucht. Er versuchte, die kläglichen Fetzen, die davon übrig geblieben waren, zusammenzusuchen, denn er spürte, daß jenseits seiner Wut eine beängstigende Traurigkeit lag, der er sich nicht ergeben mochte.
    »Du hättest ja auch einmal anrufen können. Ich
meine... findest du es gut, wie du dich einfach nach England abgesetzt hast und dann untergetaucht bist?«
    »Natürlich nicht. Ich...«
    »Dir hätte ja auch etwas zugestoßen sein können. Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie viele Sorgen ich mir gemacht habe?« Das stimmte nicht, er hatte sie sofort bei Davies vermutet, aber das brauchte sie nicht zu wissen. Nun kehrte endlich etwas von seiner Wut zurück. Verdammt, sie hatte ihn behandelt wie einen Schuhabstreifer. Er atmete schwer.
    »Nach fünfundzwanzig Jahren«, sagte er, »hättest du mir wenigstens eine Erklärung geschuldet!«
    »Ich bin nicht mit dem Plan abgereist, hier zu bleiben, Phillip. Bitte glaub mir das. Ich hatte nicht vor... Andrew aufzusuchen.«
    »Aber du hattest vor, den Termin in Schottland platzen zu lassen.«
    Sie seufzte leise. »Nein. Nicht einmal das hatte ich vor. Aber ich war sehr verzweifelt deswegen. Ich war von Anfang an gegen Schottland, das weißt du.«
    »Wir hatten uns geeinigt...«
    »Ich hatte resigniert. Das ist nicht ganz das gleiche.«
    »Na ja...«, meinte er vage. Sein Ärger darüber, daß sie den Termin bei Mr. Grant ungenutzt hatte verstreichen lassen, schien ihm ohnehin Ewigkeiten zurückzuliegen. Was wog das noch gegenüber der Tatsache, daß er Janet verloren hatte, daß er vor den Trümmern seines Lebens stand?
    »Das ist ja auch nicht mehr wichtig. Schottland, meine ich. Wichtiger ist...«, er zögerte, »wichtiger ist, was du jetzt vorhast.«
    »Das ist alles nicht so einfach. Schon gar nicht am Telefon. Wir sollten uns sehen.«
    »Oh... an mir liegt es nicht, daß wir derzeit nur telefonisch
kommunizieren können. Du bist abgehauen, nicht ich!«
    »Ich verstehe ja, daß du böse auf mich bist, Phillip. Wir müssen unbedingt reden.«
    Was für eine schreckliche, gemeine Situation, dachte er müde. Sie sitzt in der Wohnung ihres Liebhabers und will mit mir reden, und wahrscheinlich will sie mir sagen, daß sie sich für ihn entschieden hat, aber selbst wenn dem nicht so wäre, könnten wir diese Scherben nicht mehr zusammensetzen.
    »Janet«, sagte er hilflos.
    Ihrer Stimme konnte er anhören, wie sehr ihr dieses Gespräch an die Nieren ging.
    »Ich habe mich ziemlich unfair benommen«, gab sie zu, »bitte verzeih mir!«
    Verzeihen... wie oft denn noch? Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er ihr nicht damals schon verziehen hätte. Wenn er auf einer Trennung bestanden und sich die Jahre voller Lügen und unechter Harmonie erspart hätte - um am Ende nun doch durch den Schmerz gehen zu müssen, Janet zu verlieren. Wenigstens hätte er sich dann nicht selbst einen Waschlappen nennen müssen. Er wäre um das Gefühl herumgekommen, als trauriger Verlierer dazustehen, schwach und wehrlos.
    »Wir werden über alles sprechen«, sagte er, »über das, was war, und über die Zukunft. Vor allem über die Zukunft.«
    Sie sagte nichts. Fühlt sich unwohl, dachte Phillip, sie weiß, daß sie mir weh tun wird, und das bekümmert sie. Grausam war sie nie. Es macht ihr keinen Spaß, andere zu verletzen.
    »Ach, hier gibt es übrigens einigen Ärger«, sagte er. Es klang beiläufig, war aber sehr genau kalkuliert. Was er ihr erzählen wollte, würde ihr heiteres Liebesnest ziemlich
zum Schwanken bringen. »Maximilian ist aus der Klinik fortgelaufen.«
    Er konnte mit der Wirkung zufrieden sein. Eine Schrecksekunde lang blieb Janet still, dann

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