Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
Aquarelle hingen. Sein Blick blieb an einem der Bilder hängen. Hohes Gras, durch das der Wind ging. Kalkfelsen. Der gläserene Himmel, dessen Sonne sich hinter einer Wolke verbarg und ihr Licht wie eine bloße Andeutung über das Land warf. Dunkle Wälder. Unter Zedern duckte sich die steinerne Hütte, fast abweisend mit ihren kleinen Fenstern, der niedrigen Tür. Kein Weg, der zu ihr führte, nichts, was...
    Er unterbrach seine Gedanken. Die Hütte. Die beinahe greifbare Einsamkeit. Die beklemmende Weltabgeschiedenheit. Was hatte Janet von der Hütte gesagt, die sie zu viert auf einer Wanderung entdeckt und seitdem immer wieder zu einem romantischen Ausflugsziel gemacht hatten? »Hier ist das Leben so weit weg...«
    Er stürzte aus dem Haus.
     
     
    Kurz vor der Landung in Nizza sprach Andrew zum erstenmal wieder. Während des ganzen Fluges hatte er geschwiegen, nur auf die Frage der Stewardeß, ob er einen Kaffee wolle, mit einem »Ja« und einem »Danke« reagiert. Die übrige Zeit hatte er in die Times gestarrt, jedoch den Eindruck vermittelt, nicht wirklich vertieft zu sein: Die Zeitung diente nur als Mauer gegen die Welt.
    Nun sagte er unvermittelt: »Ich verstehe einfach nicht, warum du das alles für dich behalten hast!«
    Janet, die zum Fenster hinausgesehen hatte, wandte sich ihm zu. In den letzten Stunden war sie immer mehr in sich zusammengesunken. Sie war blaß und wirkte knochig
im Gesicht. »Ich konnte nicht darüber sprechen«, entgegnete sie.
    »Aber das verstehe ich ja gerade nicht. Wir waren einander so nah in den letzten Wochen. Ich fragte mich, wann hättest du es mir erzählt? Noch vor unserer Heirat? Danach? Nie?«
    »Ich weiß nicht... wäre es so wichtig gewesen?«
    Ungeduldig faltete er die Zeitung zusammen. »Ja! Vor allem deshalb, weil es dich ständig belastet. Wie lange hättest du mich im dunkeln tappen lassen, welche Qual dich da auffrißt? Lieber Gott, Janet, ich habe doch gespürt, daß da etwas ist!«
    Sie atmete schwer, antwortete aber nicht.
    »Es ist ja schließlich keine Kleinigkeit«, sagte Andrew, »dein Sohn hat versucht, eine Frau zu töten, die nur durch Zufall mit dem Leben davongekommen ist. Er sitzt in einer psychiatrischen Klinik. Ich verstehe jetzt manche Frage, die du mir im Zusammenhang mit Fred Corvey gestellt hast. Die Frage nach seiner Mutter, was sie falsch gemacht haben könnte... Ich war erstaunt, wie sehr dich das Thema erregte. Mir ist jetzt erst klar, wie sehr du dich... identifiziert haben mußt in dem Moment.«
    »Es ist eine solche Last«, sagte sie leise.
    Er nahm ihre Hand. »Was ängstigt dich denn so sehr?« fragte er. »Maximilian ist ausgebrochen. Du meinst, er wird Mario und dieses Mädchen aufsuchen. Das weißt du aber nicht genau. Zudem - er wäre in wenigen Wochen entlassen worden. Das bedeutet, die Fachleute halten ihn für geheilt, und ein wenig kannst du doch auf ihr Urteil vertrauen. Vielleicht gibt es irgendein ganz anderes Motiv, weshalb er weggelaufen ist.«
    Die Stewardeß blieb neben ihnen stehen.
    »Sie müssen sich anschnallen. Wir landen gleich!«
    Sie fingerten an ihren Gurten herum.

    »Janet«, fuhr Andrew fort und vermied es dabei, sie anzusehen, »ist es eine ganz andere Angst, die du hegst? Die Angst, daß Mario die gleiche Veranlagung hat wie sein Zwillingsbruder - nur bislang nicht sichtbar geworden und darum auch nicht therapiert? Befürchtet vielleicht auch Maximilian so etwas und will dem Mädchen zu Hilfe kommen?«
    Janets Lippen blieben fest aufeinandergepreßt.
    Jetzt sah Andrew sie an. »Hat es irgendwann irgendein Vorkommnis gegeben, das in dir einen solchen Verdacht geweckt hat? Etwas, wovon nur du und Maximilian wissen? Einen Anhaltspunkt dafür, daß Mario... gefährlich ist?«
    »Andrew, ich...«
    »Janet!« Seine Stimme war eindringlich. »Wenn dem so ist, ist dir klar, daß du es niemals hättest für dich behalten dürfen? Himmel, ich verstehe ja, daß du ihn hast schützen wollen, aber...«
    In ihre Augen trat ein Ausdruck von Ärger. »Du phantasierst dir etwas zusammen. Kannst du nicht aufhören, mich diesem Verhör zu unterziehen?«
    »Nein, das kann ich nicht!« Andrew bemühte sich nun nicht länger, seine Verärgerung zu verbergen. »Verdammt noch mal, du hast mir einiges zugemutet in den letzten Stunden, findest du nicht? Dein Mann ruft an, und du brichst fast zusammen am Telefon. Dann erfahre ich von diesem schrecklichen Drama in deiner Familie. Und dann schreist du los, du müßtest auf der Stelle

Weitere Kostenlose Bücher