Die Suende der Engel
Falle.
»Sie werden doch dort in der Nachbarschaft irgendwelche Leute kennen. Rufen Sie die an, sie sollen die beiden aufsuchen und um Rückruf bei mir bitten. Denken Sie sich etwas aus. Und jetzt holen Sie sich etwas zum Schreiben, damit ich Ihnen meine Nummer hier diktieren kann.«
Geschlagen trottete Phillip davon, holte sich Papier und Bleistift. Michael gab die Nummer an und legte dann grußlos auf.
Maximilian wußte nicht, wie viele Stunden vergangen waren, seitdem er sich auf den Weg zu der Hütte in den Bergen gemacht hatte. Aus dem Keller des Ferienhauses hatte er sich ein Fahrrad geholt, die schon etwas erschlafften Reifen aufgepumpt, und dann war er losgestrampelt. Unter der glühenden Nachmittagssonne war er die Landstraße entlanggeradelt, gehetzt zuerst, später langsamer, als ihm klar wurde, daß er dieses Tempo nicht würde durchhalten können. Dummerweise hatte er vergessen, sich eine Flasche Wasser mitzunehmen, und in dieser Einsamkeit gab es keine Gelegenheit, sich etwas zu kaufen. Als die Dämmerung einbrach, fing er an, sich etwas besser zu fühlen, aber der Durst quälte ihn noch immer. Zudem wurde der Weg nun oft so steil, daß er absteigen und das Rad schieben mußte. Das Zwielicht des Abends begann langsam in Dunkelheit überzugehen, und er wußte, daß er schon viele Stunden unterwegs sein mußte. Und das, ohne sich völlig sicher zu sein, daß er dem richtigen Weg folgte. Die Zeiten, da sie während ihrer Ferien mehrmals zur Hütte gefahren waren, lagen weit zurück. Wann immer er an eine Abzweigung kam, zögerte er, welche Richtung er einschlagen sollte. Er nahm
an, daß es eine schnellere Möglichkeit gab, die Hütte zu erreichen, aber er fürchtete, sich dann restlos zu verlaufen. Besser, er versuchte, sich an den Fahrweg zu halten. Sie hatten immer etwa eine halbe Stunde mit dem Auto gebraucht; für das letzte Stück, das man in jedem Fall nur zu Fuß zurücklegen konnte, dann noch einmal zwanzig Minuten. Er hätte nie gedacht, daß es ohne Auto soviel länger dauerte!
Ein steil in die Berge hinauf führender Geröllpfad, der von der Serpentinenstraße abzweigte, erregte seine Aufmerksamkeit. Es war jetzt schon ziemlich dunkel, und die Landschaft ringsum kam ihm unheimlich und fremd vor, aber er erinnerte sich, daß sie zuletzt immer in solch einen Pfad abgebogen und ihn dann so lange weitergefahren waren, bis er irgendwo in der Wildnis einfach aufhörte. Dieser hier könnte es gewesen sein.
Er blieb stehen. Die letzten Meter hatte er das Rad nur noch geschoben. Die Zunge klebte an seinem ausgedörrten Gaumen. Er hätte ein Vermögen gegeben für einen Schluck Wasser. Seine Beine schmerzten und er war hundemüde.
Sein Fahrrad, das ihm nun überhaupt nichts mehr nützte, legte er hinter einem Eichengebüsch einfach auf die Erde. Nach einer Viertelstunde angestrengten Kraxelns steil bergauf, erschwert durch die Finsternis, stieß er auf Marios Auto, das einsam und verlassen mit unverschlossenen Türen und eingestecktem Zündschlüssel, aber - wie ihn ein kurzer Versuch belehrte - ohne einen Tropfen Benzin mitten auf dem Weg stand.
Es war schon dunkel, als Andrew und Janet Duverelle erreichten. Sie hatten am Flughafen in Nizza einen Wagen gemietet und waren gleich losgefahren, hatten jedoch zweimal völlig die Richtung verloren. Janet war darüber ganz aus der Fassung geraten, hatte geschrien, sie wisse,
daß dies der richtige Weg sei, und sie könne nicht verstehen, warum er nicht direkt in das Dorf führe. Irgendwann hatte Andrew, der den Wagen fuhr, angehalten, den Motor abgestellt und Janet streng angeschaut. »Janet, du nimmst dich jetzt zusammen. Wir fahren ins nächstliegende Dorf und erkundigen uns nach dem richtigen Weg, und dann fahren wir nach Duverelle und sehen, was dort los ist. Und du wirst aufhören zu schreien, denn es hat keinen Sinn, daß wir beide total aufgelöst bei deinem Sohn aufkreuzen.«
Janet sagte kein Wort mehr.
Als sie dann endlich ankamen, stieg sie, noch immer schweigend, sofort aus und lief auf das Haus zu. Quietschend öffnete sich das Gartentürchen.
Andrew verließ ebenfalls den Wagen und folgte ihr. Blütenzweige streiften sein Gesicht, als er den Weg entlangging. Aus der Dunkelheit tauchten die steinernen Mauern des Hauses auf, das inmitten einer wuchernden Wildnis zu schlafen schien.
Wie schön es hier ist, dachte Andrew.
Janet stand vor der Haustür, pochte heftig dagegen.
»Es rührt sich nichts«, sagte sie.
Andrew blickte
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