Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Gemäuers geplant wurden, während oben die Nazis in schwerer Montur durch das Haus marschierten. Es gab noch eine andere Version der Geschichte, laut derer man Monsieur eingesperrt und gefoltert habe, weil er einer jüdischen Familie aus dem Dorf zur Flucht verholfen hatte. Wir hätten gern mehr gewusst, aber es schien taktlos und vermessen, danach zu fragen. Damals war der Krieg in den Köpfen der Menschen noch sehr präsent, doch war es eine Erinnerung, die man in diesem Teil der Welt gern vergessen hätte.
Echte Dienstboten gab es keine, nur einige Landarbeiter, die auf dem Anwesen lebten und bereitwillig zur Hand gingen, wann immer etwas zu tun war. Ich hatte den Eindruck, dass alle Nachbarn guten Grund hatten, dieser im eigentlichen Sinne des Wortes noblen Familie dankbar zu sein. Die d’Aigses waren der Inbegriff verblichenen Landadels – ein Phänomen, das man damals auch in Irland sehr gut kannte.
Wir wohnten in Behelfsunterkünften, die man während der Saison auf einem Feld am Fuße der großen Terrasse aufgebaut hatte. Das Essen würden wir mit den anderen Arbeitern an einem Gemeinschaftstisch unter freiem Himmel einnehmen. Die französischen Landarbeiter waren ein ziemlich munterer Haufen; viele kamen aus der Umgebung, die meisten aus dem Dorf Clochamps.
In jenem Sommer waren auch Erntehelfer aus Südafrika da. In Irland bekam man damals kaum Schwarze zu sehen, und ich hatte noch nie mit welchen gesprochen; hier war es kaum anders. Die Jungs suchten keinen Kontakt zu uns und blieben unter sich. Ich versuchte es mit Lächeln und Zeichensprache, aber sie hielten stets den Blick gesenkt, als hätten sie Angst. Ich muss gestehen, dass mich ihr Anblick faszinierte. Wir wunderten uns nur, warum die Jungs, im Gegensatz zu ihrem weißen Chef, nicht mit uns auf dem Anwesen einquartiert wurden. Wenn mich nicht alles täuschte, waren sie sogar jünger als wir. Obwohl ich einmal an einer Studenten-Demo der irischen Anti-Apartheid-Bewegung teilgenommen hatte, wusste ich damals doch wenig von den konkreten Auswirkungen der Rassentrennung. Es hieß, die südafrikanischen Erntehelfer sollten im Weinbau geschult werden und Setzlinge für den heimischen Anbau mitnehmen; anscheinend war das Klima am Westkap ganz ähnlich wie in der Aquitaine. Ich hätte gern mehr über die Jungs und ihre Lebensumstände erfahren, aber sie sprachen kaum Französisch und praktisch kein Englisch, und wie bei so vielen Dingen zu jener Zeit wäre es unhöflich gewesen zu fragen. Sie hatten wie gesagt ihren eigenen Chef, einen alten Drecksack namens Joost, ein Weißer, der die schwarzen Jungs nach Frankreich gebracht hatte, damit sie lernten, womit er selbst sich nicht abmühen wollte. Er rührte keinen Finger und brachte den Tag damit zu, Befehle zu brüllen und beim kleinsten Fehler zuzuschlagen. Bei uns versuchte er sich anzubiedern, indem er derbe Witze über Hautfarbe und Blödigkeit seiner Landsleute riss. Frankreich war ein Land, das noch immer unter der Scham litt, während des Krieges der Diskriminierung und Verfolgung der Juden tatenlos zugesehen zu haben. Niemand wollte, dass so etwas noch einmal geschah. Als wir uns bei Madame über Joost beschwerten, sah sie sich dann auch prompt genötigt, ihn und seine Leute vor die Tür zu setzen.
Unsere Unterkunft war recht einfach; ein Schlafquartier für Männer und eins für Frauen, jedes mit einer Wasserpumpe und einer Stehtoilette, die praktisch aus einem Loch im Boden bestand. Nichts, was wir uns heute noch bieten lassen würden, aber wenn man jung ist, hat man andere Maßstäbe. Für uns war das alles neu und furchtbar aufregend.
Aber die Arbeit war wie gesagt eine ziemliche Plackerei, zumindest am Anfang, bis wir uns daran gewöhnt hatten. Ende Juni war dann in den Weinbergen erst mal nichts mehr zu tun, weshalb wir in den Obstgärten und Olivenhainen eingesetzt wurden, was uns vergleichsweise erholsam vorkam. Den ersten Monat hatte ich mit sogenannter Bodenarbeit zugebracht. Die Erde um jeden einzelnen Rebstock musste vorsichtig gelockert und von Unkraut wie Klee, Gras und Wildhafer befreit werden, das zwischen den Pflanzenreihen wuchs.
Alles spross und gedieh schneller, als man schauen konnte. Fast konnte man der Natur beim Wachsen zusehen. Anfang Juni legten die Reben pro Tag ein, zwei Zentimeter zu, aber Madame versicherte uns, der eigentliche Wachstumsschub setze bereits im Vorfrühling ein. Oliver und Laura waren einem anderen Trupp zugeteilt und vor allem mit Laubarbeiten
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