Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Was wohl aus ihr geworden ist? Und wie sie wohl war? Ich stelle mir vor, wie sie ihr Dorf und ihr altes Leben hinter sich lässt, sie trägt Stammestracht und geht der untergehenden Sonne entgegen. Meine Geburt lastet auf ihr wie ein Fluch. Ab und an überkommt es mich; dann weine ich um sie, und seltsamerweise vermisse ich sie und frage mich, ob sie mich je vermisst hat. Ich muss an meinen Vater denken und stelle mir vor, wie meine Geburt ihn öffentlich bloßgestellt, seine Lüge der Verleugnung offenbar gemacht hat. Fast tut er mir ein bisschen leid.
Dann denke ich an Laura und daran, in welche Verwirrung ihr dunkelhäutiges Baby sie gestürzt haben muss. Wer würde ihr denn geglaubt haben, dass ich der Vater bin? Ich ganz bestimmt nicht. Deshalb konnte sie mir kein Foto schicken, deshalb hätte sie das Kind niemals mit nach Hause bringen können, nicht zu dieser Zeit. Wie hätte sie die Vaterschaft des Kindes erklären sollen? Wie hat sie es sich erklärt? Sie muss an ihrem Verstand gezweifelt haben. Damals herrschte in weiten Teilen Irlands, vor allem in der Mittelklasse, unausgesprochener Rassismus. Unausgesprochen deshalb, weil es kein Problem war, dem man sich in der Praxis je hätte stellen müssen. 1974 konnte man die Schwarzen in Irland noch an einer Hand abzählen. Lauras Kind wäre für ihre Familie ein Skandal gewesen. Eine unverheiratete Mutter war das eine. Aber eine unverheiratete Mutter mit einem schwarzen Kind, das sie sich selbst nicht erklären konnte – damals völlig undenkbar. All das ist meine Schuld. Ich habe ihr das angetan. Vielleicht hat sie wirklich geglaubt, den Verstand verloren zu haben. Ich habe sie umgebracht.
Meine Tochter Annalise kam mich heute besuchen. Sie ist schön, genau wie ihre Mutter, und, so vermute ich, wie meine Mutter. Gewissermaßen auch wie ich. Es grenzt an ein genetisches Wunder, dass ich weiß zur Welt kam, aber dieses Mädchen ist zweifelsfrei meine Tochter. Meine und Lauras Tochter. Bis zu dem Moment, da ich sie gesehen habe, hatte ich so meine Zweifel, aber sie hat dieselben strahlend blauen Augen und dieses Lebendige, Zielstrebige, das auch Laura anfangs hatte. Nur ihre Hautfarbe, die hat Annalise von meiner Mutter. Vererbt durch mich.
Der Anfang war nicht leicht, aber ich setzte meinen Charme von einst ein, um ihr die Befangenheit zu nehmen. Ich erkundigte mich nach ihrem Sohn – meinem Enkel – , und sie zeigte mir ein Foto von einem kleinen Jungen, vielleicht zwei Jahre alt, der zwischen ihr und ihrem Mann saß. Er hatte ein verschmitztes Lächeln im Gesicht, und ich konnte sehen, dass er glücklich war. Das freut mich. Als ich sie fragte, ob sie glücklich sei, lächelte sie kurz und schlug ihre blauen Augen nieder. Sie saß mir gegenüber, und ich sah, wie sie nervös die Knöpfe am Ärmel ihrer teuren Seidenbluse auf- und zumachte. Spätestens da konnte ich mich der Wahrheit nicht länger verweigern.
Ihr hingegen konnte ich sie verwehren.
Ich gab zu, Laura gut gekannt zu haben. Wir seien auf dem College zusammen gewesen und hätten den Sommer 1973 nahe Bordeaux verbracht. Ich erzählte Annalise, wie schön und mutig ihre Mutter war und wie sehr sie sich gewünscht hätte, sie behalten zu können. Ich stritt ab, von einer Schwangerschaft Lauras gewusst zu haben, auch könne ich mir nicht erklären, warum sie mich als Vater benannt hatte. Ich deutete an, dass in jenem Sommer auch Arbeiter aus Südafrika bei der Weinlese geholfen hatten und dass Laura mit einem von ihnen ein Verhältnis gehabt haben könnte. Ich hätte sie als gute, kräftige, fröhliche Burschen in Erinnerung, könne mich aber leider nicht an ihre Namen erinnern.
Zu der Sache mit dem DNA -Test sagte ich, dass ich darin keinen Sinn sähe, und erzählte ihr von meinen Eltern Mary (geborene Murphy) und Francis Ryan. Annalise zuliebe kramte ich sogar meine früheste Erinnerung hervor. Plötzlich stand alles wieder ganz deutlich vor mir: Ich saß in einem Garten auf den Knien meines Vaters. Meine Eltern lachten und umarmten sich. Meine Mutter hatte rote Haare, sie trug eine Brille und Lippenstift, mein Vater einen dreiteiligen Anzug. Die Bank stand unter einem Baum. Es musste Frühling sein. Ein Zweig hing, schwer von Blüten, über dem Kopf meines Vaters herab. Meine Mutter hebt mich hoch und setzt mich auf eine Schaukel. Sie sagt mir, ich soll mich gut festhalten, und schubst mich ganz leicht an. Ich lache und spüre den Wind durch meinen ganzen Körper brausen. Ich will, dass sie
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