Die Suendenburg
ich mit Schreiben fülle. Ich schreibe auf eine Mauer, die mein Kerker ist.
Bilhildis
Das Erste, was ich morgens tue, ist, nach dem Gewächs zu fühlen. Es ist in meinem Bauch, auf der rechten Seite gleich unterhalb der Rippen. Drei Kinder sind in mir gewachsen, gute Söhne, das ist lange her. Was nun heranwächst, ist ein Monster. Es verursacht Übelkeit, und manchmal gluckert es in meinem Innern, als würde etwas gären. Jeden Morgen reibe ich die Stelle mit Ölen ein, seit zwanzig Monden. Mir ist, als täte ich dem Ding sogar noch Gutes, und so bin ich vor einiger Zeit dazu übergegangen, mir abends zum Schlafengehen eine Zwiebel auf den Bauch zu legen, die mir feuchte Augen macht. Was für eine Narretei. Ich sollte es besser wissen: Das Schlechte lässt sich durch Tränen nicht besänftigen.
Noch nicht einmal am heutigen Morgen, wo es viel zu tun gab, habe ich das Gewächs vergessen. So wie sich Augen an die Nacht gewöhnen, gewöhne ich mich an das räudige Ding, das meine Finger täglich streicheln. Ich spreche mit ihm. Wieso auch nicht mit dem Tod reden? Der Verlust meiner Sprache vor vielen Jahren hat mir einen Gewinn an Gespür gebracht, und ich spüre, dass dieses Ding es ernst meint.
Das Aufstehen fiel mir – die ich mir zugutehalte, sommers wie winters vor der Sonne aufzustehen – schwerer als sonst. Aber wohl nicht nur mir. Über der Burg lag die gewöhnliche Ruhe eines Morgens nach einem Gelage, vermischt mit der außergewöhnlichen Ruhe eines Morgens nach einem Mord. Auch Raimund, ein paar Schritte entfernt auf seinem eigenen Lager, schlief noch. Ich wusch mir Hände und Gesicht und hörte mich dabei zwei- oder dreimal ächzen. Es kam mir vor, als hätte ich verschlafen, aber als ich die Ziegenhaut vom Fenster nahm, sah ich, dass die Welt noch grau war, so wie ich es kannte.
Ich ging in die Burgküche, in der zu dieser Stunde normalerweise bereits eine Köchin zugange war, die Getreidebrei für das Gesinde anrührte. Sie war jedoch nicht da, also aß ich eine kleine Schale Birnenkompott, die vom Fest übrig geblieben war, und packte einige weitere Speisen für die Gräfin und für Elicia in einen Korb, denn ich diene ihnen beiden.
Zunächst suchte ich Elicia auf. Sie lag neben ihrem schnarchenden Gemahl und warf ihr Haupt unruhig hin und her. Ich dachte, sie würde fiebern, aber sie hatte wohl nur einen schlechten Traum – keine Überraschung nach der vergangenen Nacht.
Ich nutzte die seltene Gelegenheit, mir Baldur in seiner Gänze anzusehen. Ich hielt mich schadlos an den Muskeln, Ambosshänden, Goliath-Beinen, der Samson-Brust, dem Bullengeschlecht, an all den Säften und Kräften, die für die Liebe und den Krieg gemacht sind und deren Anblick mir, einer alten Dörrpflaume, immer noch guttut. Auf dem Schlaflager liegend scheint Baldur der ideale Gatte, und auf dem Pferd sitzend der ideale Krieger. Doch wehe, er spricht mit etwas anderem als dem Schwert, wehe, er benutzt Zunge und Kopf. Er rühmt sich, einen festen Apfel zwischen seinen Knien zerdrücken zu können und mit seiner Faust aus einem Rettich Saft zu pressen. Wofür das gut sein soll – außer wenn man Rettichsaft mag –, sagt er nicht. Er trinkt jeden Abend, egal, wo er sich befindet, und er braucht auch nicht eigens ein großes Gelage dazu. Bier und Wein versickern in ihm, als wäre er aus Rheinsand gemacht. Zumindest was die Füllung seines Kopfes angeht, trifft das unbedingt zu.
Wird er der neue Graf? Wer sonst dürfte Anspruch darauf erheben? Die Gräfin hat keinen männlichen Erben mehr, Agapet hatte keine Brüder und Neffen. Und wenn Baldur der neue Graf ist, wie lange wird es wohl dauern, bis er sich in blutige Händel verstrickt und, wo auch immer, erbärmlich endet. Denn so trifft es viele aus dem Geschlecht der Agapiden. Agapets Urgroßvater, der ebenfalls Agapet hieß, lockte einen Feind unter Bruch des Rechts in einen Hinterhalt und metzelte ihn und dessen Söhne nieder. Manche sagen, dass da das Elend des Geschlechts begann. Der besagte Urgroßvater starb bald darauf in der Schlacht, zusammen mit seinem Sohn. Dieser hatte zwei Söhne, beide erst halb erwachsen, und schon bald tötete der eine den anderen – versehentlich im Spiel, wie er sagte. Seine Mutter glaubte ihm das nicht, sie wünschte ihm die Pest an den Hals und verhungerte freiwillig. Dieser junge Mann war Agapets Vater.
Eines Tages, als Vater und Sohn einen Ausritt unternahmen, geriet der Vater nicht weit von hier in ein Moor, das ihn verschluckte.
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