Die Suendenburg
So zumindest sagte Agapet, der Sohn und neue Graf, welcher nun seinen Tod im Bad gefunden hat, des Blutes seiner Ahnen beraubt, auf das er so viel Wert legte und das doch so wenig in der Gunst des Schicksals steht.
Es gibt Stimmen im Volk, die sagen, dass das Elend viel früher begann und sich nicht auf die Agapiden beschränkt, dass es die Burg ist, die vor Jahrhunderten ein Fluch getroffen hat.
Ha! Fluch! Mögen sie es Fluch nennen, das ist mir gleichgültig. Doch dann ist es ein Fluch, der nicht von oben oder unten kommt, der nicht das Siegel Gottes oder Satans braucht.
Anschließend ging ich zur Gräfin. Ich staunte nicht schlecht, als ich sie wach und angekleidet vorfand. Sie trug, wie es die Trauerzeit vorsah, ein weißes Kleid, das sie mit ihrer blassen Haut und dem blonden Haar fast wie ein Engel aussehen ließ. Meinen Augen entnahm sie die Frage: Herrin, wieso habt Ihr Euch allein angekleidet? Doch sie antwortete nicht darauf. Es ist traditionell das Vorrecht einer Edlen, die dir die Suppe bezahlt, nur dann Stellung zu beziehen, wenn es ihr beliebt, und es ist zusätzlich das Vorrecht einer Sprechenden, so zu tun, als hätte sie die Frage der Stummen nicht verstanden.
Ich flocht ihre Haare zu einem Kranz, wie sie es gern hat und wie es dem Anlass geziemte. Dann bereitete ich das Rosenwasser zu, mit dem sie ihren Mund spülte. Sie wirkte gefasst, überhaupt nicht müde oder angeschlagen, daher wusste ich, dass sie nicht im Mindesten trauerte. In meiner Gegenwart – und nur dann – hatte sie sich stets gegeben, wie sie sich fühlte, hatte jeder Träne, jedem Lächeln, jeder Klage, jeder Freude ihren Lauf gelassen, während ich von jeher Gesten und Mimik mit dem Bedacht einer Schaustellerin setzte.
»Bilhildis, warst du schon bei Elicia? Wie geht es ihr?«
Ich bedeutete ihr, dass sie unruhig schlafe.
Wir wechselten einen langen Blick.
»Ja, so hat sie schon als kleines Kind auf schlimme Ereignisse reagiert. Jedes Mal, wenn ihr Vater auf Reisen oder Feldzüge aufgebrochen ist, hat sie darum gebettelt, mit ihm gehen zu dürfen, und als es ihr verwehrt wurde, hat sie sich im Schlaf hin und her geworfen bis zum Mittag. Und dieses Mal ist es ein endgültiger Abschied, da wird alles noch weit schwieriger für sie. Wir müssen ihr helfen, wo immer wir können. Ich glaube, die Bestattung wird sie kaum überstehen. Sie wird zusammenbrechen.«
Die Gräfin geriet ins Grübeln.
»Vielleicht ist es eine glückliche Fügung, dass sie noch schläft. Wir nehmen die Bestattung sofort vor. Bitte bereite die Kapelle vor, Bilhildis, und gebe Pater Nikolaus Nachricht. Ich bitte Aistulf, die übrigen Vorbereitungen zu übernehmen.«
Aistulf! Das fand ich sogleich bemerkenswert. Er war der Verweser der Burg in Abwesenheit des Grafen und Baldurs, des Hauptmanns der Wache. Aber mit der Rückkehr Agapets und Baldurs vom Feldzug galt er eigentlich als dieses Amtes verlustig, und die Tatsache, dass Agapet nun tot war, änderte nichts daran. Baldur war der Hauptmann und zudem Agapets Schwiegersohn. Es wäre an ihm gewesen, die Bestattung in die Wege zu leiten, und die Gräfin wusste das sehr gut. Entsprechende Belehrungen durch mich, auf welche Weise auch immer nahegebracht, wären also überflüssig.
»Ach, noch etwas, Bilhildis. Bitte beeile dich. Es soll alles sehr schnell vonstattengehen.«
Das tat es. Ich ließ das Gesinde zusammentreiben, die kleine Kapelle reinigen und notdürftig schmücken, den Geistlichen herbeiholen und den Weg bis zum Friedhof kehren. Aistulf ließ die Wache antreten – die ihm im Grunde nicht unterstand –, das Grab ausheben und den Leichnam umkleiden. Niemand stellte seine Anordnungen infrage, denn er ist äußerst beliebt, und es gibt nur zwei Gesichtspunkte, die stärker sind als die Autorität des Rechts, und das sind die starke Angst vor und die starke Hinwendung zu einem Menschen. Als Baldur aus seinem tiefen Schlaf, der halb dem Bier und halb der durchwachten Nacht geschuldet war, erwachte, war die Zeremonie bereits im Gange. Der Leichnam wurde von der Kapelle in den Hof getragen, von dort in den Vorhof, durch das Tor einen schmalen Weg entlang bis zum Friedhof am Fuße der Ostmauer. Soweit ich es mitbekam, hat sich Baldur weder während noch nach der Grablege bei seiner Schwiegermutter beschwert, dass er und Elicia nicht geholt worden sind. Die Gräfin, nunmehr ganz Witwe, flüsterte ihm einige brüchige Worte zu, die ich nicht verstand, und damit gab er sich wohl zufrieden. Er ist
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