Die Suendenburg
Bemerkung konnte er vermutlich nichts anfangen, was mir sehr entgegenkam. Ich setzte mich vor das polierte Metall und kämmte meine Haare.
»Soll ich deine Zofen rufen?«, fragte er.
»Nein.«
»Soll ich Bilhildis rufen?«
»Lass nur.«
»Willst du nicht das Gemach verlassen?«
»Doch.«
»Dann wirst du jemanden brauchen, um dein Haar zu stecken.«
»Ich gehe mit offenem Haar. Vater hat es gemocht, mich mit offenem Haar zu sehen. Wenn ich das letzte Mal bei ihm bin, möchte ich so aussehen, wie er es gewollt hätte.«
»Wir haben ihn vorhin bestattet.«
Es dauerte einen Augenblick, bis diese Worte mich erreicht hatten. Ich riss meinen Kopf zu Baldur herum.
»Du meinst doch nicht – nein, du meinst, ihr habt ihn aufgebahrt.«
»Ich kenne den Unterschied zwischen aufgebahrt und bestattet. Dein Vater ist unter der Erde, Elicia. Sie hielt es für das Beste.«
»Sie hielt es – wer ist › sie ‹ ?«
»Deine Mutter. Sie hat alles veranlasst.«
Ich warf den Kamm zu Boden; er zerbrach. »Oh, das hätte ich mir denken können. So eine gemeine, bösartige, heimtückische, hinterhältige, missgünstige, eifersüchtige …«
»Elicia.«
»Sie war immer schon eifersüchtig, weil ich lieber mit Vater als mit ihr zusammen war. Aber das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Sie hat meinen Bruder immer viel, viel mehr geliebt als mich, sie hat mich jahrelang kaum beachtet, und plötzlich, als sie Orendel verlor, erinnerte sie sich daran, dass sie eine Tochter hatte. Aber sie konnte mir nichts vormachen. Ich war nebensächlich für sie, und das habe ich sie spüren lassen, und deswegen hat sie nun …«
»Ich stimme ihr zu.«
»Wie bitte?«
»Ich stimme ihr zu, dass die Bestattung zu viel für dich gewesen wäre. Deine Gesundheit hätte darunter gelitten.«
»Wie du sagst: Es ist meine Gesundheit, sie gehört nur mir allein und ein kleines bisschen noch Gott. Alles, was meine Gesundheit betrifft, mache ich mit ihm aus. Außerdem war das bloß ein Vorwand meiner Mutter. Sie wollte meinem Vater einen letzten Hieb versetzen. Es wäre sein Wille gewesen, dass ich ihn bei seinem letzten Gang begleite, aber sie hat ihn zeit ihrer Ehe verletzt, wo sie nur konnte.«
»So oder so, es war richtig, den Leichnam rasch zu beerdigen. Denk bitte daran, wie spätsommerlich warm der Tag heute ist.«
»Du bist geschmacklos, widerwärtig.«
»Ich bin Soldat und denke praktisch. Nach einer Schlacht zum Beispiel …«
»Wir befinden uns in unserem Schlafgemach, und du sprichst von einem Schlachtfeld?«
»Dein Vater hätte mich verstanden.«
»Er hätte eher ein Wiesel verstanden als dich.«
»Mit dir ist heute nicht zu reden. Morgen gehen wir gemeinsam an deines Vaters Grab, dann kannst du Abschied nehmen.«
»Ich werde bestimmt nicht bis morgen damit warten.«
»Gemäß dem Brauch hält deine Mutter alleinige Totenwache am Grab, und zwar bis zum morgigen Sonnenaufgang. Keiner darf sie dabei stören.«
Ich versuchte, mich an ihm vorbei zur Tür zu drücken, aber er blockierte sie.
Ich sagte: »Sie hat sich, als er noch lebte, einen Dreck um meinen Vater geschert, das wird sich nach seinem Tod nicht ändern, und deswegen ist es ihr auch völlig gleichgültig, ob ich sie störe.«
»Mir ist es jedoch nicht gleichgültig.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?«
»Nur aus einem Grund: Du bist nicht die Witwe Agapets, sondern die Waise.«
Ich geriet völlig aus der Fassung, ich schrie, trat einen Stuhl um, nahm das Schlaflager aus Fellen auseinander, warf einen Wasserkrug gegen die Wand, öffnete die Truhen, zerriss ein Kleid …
Schlimm. Ich benahm mich wie eine Wahnsinnige und gab vor meinem Gemahl ein furchtbares Bild ab. Das war falsch und – was kann ich noch dazu sagen, mir fehlen die Worte. Trotzdem versuche ich, mich zu verstehen. Es war mir verwehrt worden, mich von Vater zu verabschieden. Unsere letzte Begegnung, die letzte Berührung wird auf ewig diejenige sein, wo ich sein blutiges Haupt in meinen Händen hielt, und nie wird dieses Erlebnis, das tief in mich eingeschrieben ist, von einem sanfteren Abschied überschrieben werden. Dazu kam, dass mir von Baldur sogar die Trauer an seinem Grab verwehrt wurde, wenn auch nur für einen, nämlich den heutigen Tag. Das alles war zu viel für mich, die ich ohnehin genug zu tragen hatte, auch ohne dass mir mehr oder weniger liebmeinende Menschen noch weitere Unbill hinzupackten.
Die Leere in mir füllte sich mit Zorn.
Als ich mich ausgetobt hatte, sank ich erschöpft
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