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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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kam Raimund zu mir. Der alte Sack, der mein Mann ist, fragte, warum ich lachte – denn lachen, das kann ich –, und er wies mich darauf hin, dass es mitten in der Nacht sei und zudem Trauer herrsche. Ich gab ihm mit einer eindeutigen Geste zu verstehen, dass er sich zum Teufel scheren solle. Etwas Ähnliches, nur ungleich höflicher, gab ich auch Baldur zu verstehen, als er mich als Unglücksbotin zur Gräfin schicken wollte. Ich nahm ihn an der Hand und zog ihn hinter mir her bis vor die Tür zum Gemach der Gräfin.

Claire
    Mein Schwiegersohn Baldur teilte mir im Beisein von Bilhildis und unserem Burggeistlichen zu später Stunde mit, dass mein Gemahl einem tückischen Angriff zum Opfer gefallen war.
    »Kannst du das bitte wiederholen, Baldur?«
    »Er wurde ermordet – im Bad – wir – wir nehmen an – er hatte – es sieht so aus, als hätte eine Barbarin – er hat sie in den Feldzügen erbeutet – und vielleicht hat sie ihm den – den Rücken gebürstet – und ihn dann von hinten heimtückisch …«
    Ich fiel sofort auf die Knie, faltete die Hände, führte sie an die Lippen, küsste die Fingerspitzen und schloss die Augen. Jeder der Anwesenden erwartete von mir, dass ich das tat, und ich gab es ihnen. Wie alle Menschen zu jeder Zeit, so hatte auch ich über Jahre und Jahre ein Bild von mir gestochen, ein ganz bestimmtes Bild, das den Leuten, wenn sie den Namen »Gräfin Claire« hörten, sofort in den Sinn kam. Es ist dies die wahre Signatur des Menschen, bedeutender und fortwährender als alles, was man sagt. Dabei kann es sich um ein gewisses Lächeln handeln, um ein Stirnrunzeln, eine pochende Ader an der Schläfe, eine aufreizende Gangart, eine zupackende Hand, aber immer nur um etwas, das einem entspricht, also in einem größeren Zusammenhang mit der Gesinnung steht. Ich bin für meine Frömmigkeit bekannt, und zehntausendmal und öfter hat man mich gesehen, wie ich niederkniete, auf eine bestimmte Art meine Hände faltete und die Fingerspitzen küsste. Das ist meine Signatur, das gestochene Bild von Gottesfurcht. Wie alle guten Bilder ist es für andere ebenso gemacht wie für mich selbst. Ich, die ich es erschaffen habe, glaube an seine Wahrheit, an meine Frömmigkeit, und doch ist es nur ein kleines Stück aus einem großen Ganzen, das von dem Bild nicht eingefangen wird.
    Die anderen taten es mir gezwungenermaßen nach und knieten nieder. Der Riese Baldur konnte sich vor Trunkenheit kaum aufrecht halten, er musste sich mehrmals mit der rechten Hand abstützen. Außerdem roch er stark, und zwar nicht nur nach Bier, sondern auch nach Latrine. Pater Nikolaus, mein kleiner, rundlicher, glatzköpfiger Beichtvater, hatte Schluckauf, da auch er auf dem Fest Schluckviel betrieben hatte. Und Bilhildis … Sie hat mit Gott nicht viel zu tun, aber ich nahm ihr ab, dass sie nicht nur mir zuliebe betete.
    Als ich mich erhob, sagte Baldur: »Ich werde das ungarische Weib befragen. So bald wie möglich.«
    »Ja, mach das.«
    »Es tut mir so – ich kann gar nicht sagen …«
    »Danke, Baldur.«
    »Er war ein großer Mann. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.«
    »Ja.«
    »Es ist tragisch, dass auch er ermordet wurde, nachdem – Ihr wisst schon …«
    »Gewiss.«
    »Ich werde Euch beschützen. So etwas wird nie wieder passieren. Ihr und Elicia werdet ein Leben in Sicherheit führen.«
    »Sehr beruhigend. Vielen Dank. Wie geht es Elicia? Das arme Kind ist gewiss völlig durcheinander.«
    »Ja, sie – sie …«
    »Ich möchte zu ihr.«
    »Sie will im Moment niemanden sehen, noch nicht einmal mich. Jedenfalls hat Bilhildis das angedeutet.«
    Bilhildis nickte, und da ich das Wesen meiner Tochter gut kannte, wusste ich, dass es sinnlos wäre, mich ihr in diesen Stunden aufzudrängen.
    »Falls du sie wach antriffst, Baldur, so richte ihr bitte aus, dass ich in Gedanken bei ihr bin.«
    Als Baldur gegangen war, setzte ich mich auf eine Truhe. Noch war ich nicht allein. Bilhildis betrachtete mich. Stumme betrachten einen auf andere Weise als Menschen, die eine Zunge haben. Intensiver und durchdringender. Sie wissen, dass man sie nicht einfach fragen kann, was sie denken. Und sie müssen nicht lügen. Das ist ihre größte Gnade, das macht so manchen Nachteil, den sie erleiden, wieder wett. Nicht lügen zu müssen macht sie uns überlegen. Bilhildis weiß das. Sie weiß um so manche meiner Lügen und Geheimnisse.
    Nachdem sie gegangen war, ließ ich eine Weile verstreichen, in der ich in meinem Gemach auf

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