Die Suendenburg
es auf mein Nachtlager, sei es auf die Öllampe auf dem Spiegeltisch, sei es zu den Sternen –, immer wieder und wieder gehe ich das Erlebte durch wie einen Vorgang aus einem Trauerstück: Ich erwache von entsetzlichen Schreien, die sich in meinen Traum geschlichen zu haben scheinen, sich dann aber als wirklich herausstellen. Ich springe von meinem Nachtlager auf, entzünde eine Fackel und renne durch die Gänge in Richtung der Schreie. Aus dem Hof dringt das laute Gelächter der Festgesellschaft heran, die ihr Vergnügen nicht unterbricht. Die Tür von meines Vaters Gemach steht offen, und das Licht meiner Fackel strömt in den finsteren Raum. Ich rufe: Vater? Vater, wer hat hier geschrien? Ich bin es, darf ich eintreten? Ich bekomme keine Antwort. Auch die Schreie haben aufgehört. Da sehe ich, wie eine junge, schwarzhaarige Frau in einer Ecke kauert, und von nebenan, aus dem Bad, höre ich Plätschern und Gurgeln. Ich sage: Vater, bist du da drin? Dann trete ich ein.
Der Raum ist feucht und warm. Meine Fackel knistert. Das Licht der zuckenden Flamme fällt auf das Becken, das in den Boden eingelassen ist. Das Wasser darin wirkt schwarz. Ich sehe einen Kopf aus diesem Wasser ragen.
Nach einem kurzen Moment frage ich: Soll ich wieder gehen, Vater? Doch er antwortet nicht. Ich trete einen Schritt näher, der Lichtkegel erfasst nun meinen Vater, und ich sehe, dass sein Kopf nach vorn gesunken ist.
Vater? Vater!
Ich eile in das Becken, das Wasser steht mir bis zum Bauchnabel, ich spüre seine Wärme, mein Kleid klebt mir an den Beinen. Mit der linken Hand halte ich noch immer die Fackel, mit der rechten Hand berühre ich seine Stirn. Sein Kopf kippt in den Nacken. Die Kehle ist durchschnitten. Seine Augen sehen mich mit starrem Blick an, als wollten sie mich anklagen. Sehen mich an. Schon die ganze Nacht.
Bilhildis
Als ich im Bad eintraf, lag Graf Agapets Leiche unter einer Pferdedecke auf dem Boden. Ich lupfte einen Zipfel der Decke hoch und sah ihm ins alte, wettergegerbte Gesicht. Seine anklagenden grauen Augen starrten mich an. Sie ließen sich nicht schließen. Was ging mir da nicht alles durch den Kopf. Ich hätte seinem Blick stundenlang standhalten können, aber die Wachen schauten schon zu mir herüber. Wie armselig! Der große Graf nackt auf dem Boden unter einer stinkenden Decke, blutentleert, blutverschmiert. Das hätte er sich wohl anders vorgestellt. Ja, so ein Mord kann einem das ganze Leben versauen. Und den Tod dazu.
Baldur, Elicias Gemahl, kam hinzu, ziemlich spät und angetrunken. »Wie ist das passiert?«, fragte er und sah mich an, als würde er ernsthaft eine Antwort von mir erwarten. Ich drückte einige Vokale aus meiner Kehle hervor, die dafür sorgten, dass Baldur sich von mir abwandte. Während er sich von einem der Wachleute, die ihm unterstanden, berichten ließ, ging mein Blick in den hintersten Winkel des Bades, wo, nur schwach beleuchtet, das ungarische Aas kauerte. Die Beine angewinkelt und die Brüste mit den Knien und Armen bedeckend, hockte sie nackt auf dem Boden, immer mal wieder angestarrt von den Wachleuten, auch von Baldur, eine bronzierte Skulptur von einer Schönheit, die man nur leidenschaftlich begehren oder leidenschaftlich hassen kann, nichts anderes.
»Jemand muss es der Gräfin sagen«, sagte Baldur plötzlich, als wäre das der lange erwartete Geistesblitz eines großen Mannes. »Bilhildis, du gehst.«
Nun stimmt es zwar, dass die Gräfin in den Jahrzehnten, die ich ihr diene, verstehen gelernt hat, was ich ihr zu sagen wünsche, aber meistens ist es ja doch nur sie, die mir etwas zu sagen hat, und wenn es sich einmal umgekehrt verhält, so sind es einfache Dinge: Ich hole sie zur Tafel, wenn es an der Zeit ist, und ich gebe ihr zu verstehen, dass ein bestimmtes Kleid, das sie zu tragen wünscht, gerade gewaschen wird. Ihre Geheimnisse, an denen ich teilhabe, sind so gut wie nie Gegenstand unserer »Gespräche«, und falls es notwendig wird, schreibe ich ihr eine kurze Bemerkung, die ich ihr überreiche.
Ich stelle mir vor, wie eine solche Bemerkung am vergangenen Abend hätte aussehen können. Vielleicht: »Verzeiht die späte Störung, Herrin, Eurem Gemahl wurde die Kehle aufgeschlitzt.« Oder: »Während Euer Gemahl ein Bad mit einer wunderschönen jungen Frau nahm, lebte er ab.« Oder: »Er hat einer Frau seinen Prügel zwischen die Schenkel gestoßen, und das hat ihr anscheinend nicht gefallen, also hat sie ihm ihren Dolch in den Hals gestoßen.«
Eben
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