Die Suendenburg
und ab schritt. Dann griff ich mir eine Öllampe, schlich durch die zweite Tür hinaus, den niedrigen Gang entlang ins Nebengebäude und dort in Aistulfs Gemach. Er lag mit dem Rücken zur Tür auf seinem Lager nahe dem Fenster. Da es eine laue Nacht war, war das Fenster nicht mit Tierhäuten bespannt, sodass ein wenig Mondlicht in das Gemach fiel. Ich schmiegte mich von hinten an Aistulf an, wobei ich seine Körperhaltung einnahm. Er wachte auf.
»Claire?«, fragte er mit verschlafener Stimme. »Was tust du hier?«
»Dasselbe, was ich seit Monaten hier tue.«
»Wir waren uns einig, dass wir noch vorsichtiger sein müssen, jetzt, wo Agapet zurückgekommen ist.«
»Du hast ja ganz kalte Füße, was ist denn los?«
»Ich war auf dem Abort. Es hat ein bisschen länger gedauert.«
Ich verzog das Gesicht. »Hu, nicht gerade ein anregendes Thema.«
»Du hast gefragt.«
»Und wo warst du während des Festes? Ich habe dich vermisst. Ich sehe dir gerne dabei zu, wenn du dich vergnügst.«
Er wandte mir wieder den Hinterkopf zu. »Ich war nur kurz dort, ich hätte mich nicht vergnügt. Du dort, ich da, kaum ein Wort möglich und jeder Blick zu viel.« Er gähnte. »Entschuldige, ich bin sehr müde.«
»Ist gut, schlaf weiter«, sagte ich und lehnte mich auf das Lager zurück.
Ich liebe diese Nächte, es sind Liebesnächte, selbst dann, wenn wir nur nebeneinanderliegen, den Atem des anderen hören, gelegentlich die Haut des anderen unter den Fingerkuppen spüren. Nächte, die ich erst seit einem knappen halben Jahr kenne, seit Agapet auf Feldzug gen Osten ging und ich den Mut fand, mich mit Aistulf des Nachts zu vereinen.
Ich vergrub meine Nase in Aistulfs langen Locken, seinem vollen, knisternden Haar, das er auf meinen Wunsch hin ein Mal wöchentlich mit Lauge wäscht. In der Burg und in der gesamten Domäne bringt ihm das so manches kopfschüttelnde Belächeln ein, aber Aistulf ist viel zu beliebt, als dass das seinem Ansehen ernstlich schaden würde.
Nach einer Weile flüsterte ich in sein Ohr: »Agapet ist tot.«
Zeit verstrich.
Ich sagte: »Das ändert alles.«
Ich bin mir nicht sicher, ob er mich hörte oder ob er schlief. Ich glaube nicht, dass er schlief.
Zeit verstrich.
In der Dunkelheit forschte ich nach unserer Zukunft.
Kara
Ich wollte bloß baden. Mit entsprechenden Gesten – denn Ungarisch hätten sie nicht verstanden – bat ich um ein bisschen Wasser, damit ich meinen Körper waschen könnte. Ich hatte immerhin eine ganze Weile in einem Becken mit Blut gelegen. Alles, was ich wollte, war, dieses Blut von meinem Körper zu entfernen, aber man stieß mich in eine Ecke. Die Tropfen rannen an mir herunter, ich stand in völliger Nacktheit im Raum, beäugt von Wachen, deren Begehren mit Verachtung sich mischte und um die Herrschaft kämpfte. Ich widerte sie an – und zog sie an, das wussten sie, dafür verachteten und begehrten sie mich noch mehr. Als man endlich Decken brachte, gab man sie dem Toten und hatte keine einzige Decke, keinen noch so kleinen Fetzen Tuch für mich übrig. Ich wollte mich einem von ihnen sogar an die Brust werfen, um mich an seinem Mantel reibend zu reinigen, doch er umklammerte meine Handgelenke und stieß mich fort. Ich versuchte, das rötliche Wasser mit meinen eigenen Händen von meinem Körper abzustreifen, zuerst mithilfe von Staub, dann mit meinem Speichel, aber sosehr ich auch wischte, es gelang mir nicht gut, und so verkrustete ich im Blut des Feindes.
Ich sollte nicht weinen. Die Götter mögen Tränen nicht. Mein Volk ist stolz und tapfer, nicht nur die Männer, auch die Frauen und sogar die Kinder. Manchmal denke ich, es ist ein bisschen zu früh für Kinder, die Tränen zu unterdrücken, man sollte sie in jungen Jahren herauslassen. Aber wenn dann einer meiner drei Lieblinge weint, fürchte ich, dass in dem Trost, den ich ihnen spende, auch ein wenig Tadel mitschwingt.
Ich sehne mich nach ihnen. Alles will ich an ihnen besser machen als in der Vergangenheit, und noch mehr will ich sie lieben. Wo sind sie jetzt, meine Söhne Zoltán und Levdi, meine Tochter Emese? Was tun sie gerade? Denken sie an mich? Und Lehel, der Vater meiner Kinder und Gefährte Tausender Nächte – denkt auch er noch an mich? Zweifel sind wie Menschen: Sie wachsen mit der Zeit und kriegen ihren eigenen Kopf. Drei Monate sind vergangen, durch eine ganze Welt hat man mich geschleppt. Werde ich je wieder bei den Meinen sein?
Die Zukunft ist ein schwarzes, Angst machendes Loch, das
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