Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
in die Welt der Lebenden zurückholte.
»Tully«, krächzte er und seine Kehle war vor lauter Staub ganz rau.
Sie sah mit trüben Augen zu ihm hoch. Es fiel ihr offensichtlich schwer, ihren Blick zu fokussieren.
Sanft hob er ihren Kopf an. Einige dünne Haarbüschel hatten bereits wieder zu wachsen begonnen, auch wenn das kein Anzeichen für eine Genesung war. Er legte ihren Kopf auf seinen Schoß. »Hey, Baby. Willkommen zurück.«
Sie öffnete ihre Augen, schloss sie dann wieder und versuchte, sie nach langem Schlaf wieder an das Licht zu gewöhnen.
»Ich … ich …«
Simon beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie auf die Stirn. »Versuch, nicht zu sprechen. Du hast sehr lange geschlafen.«
»Wasser«, bat sie und hustete schwach.
Die Wasserflasche, die er benutzt hatte, hatte sich teilweise über den Boden ergossen. Trotzdem war noch genügend Flüssigkeit übrig und er hob die Flasche auf, gab Tully davon zu trinken. »Nicht so gierig«, sagte er und setzte die Flasche wieder ab.
»Ich fühl … mich nicht so gut.«
Simon nickte. »Das ist nur eine kleine Übelkeit.« Warum sollte er ihr die Wahrheit sagen? Sechs Monate in einem Sack ohne feste Nahrung – sie musste das nicht erfahren. Das war seine ganz persönliche Reise gewesen. Alles, was jetzt noch zählte, war der Moment. Und alles, was Tully wissen musste, war, wo sie sich befand und dass sie in Sicherheit war.
»Wir sind in Coober Pedy«, sagte er und strich ihr zärtlich über den Kopf. »Du bist endlich hier.«
»Wirklich?«, fragte sie und versuchte angestrengt zu lächeln. Es schien jedoch, als besäße sie auch dafür nicht mehr genügend Kraft.
»Wirklich. Schau dich doch mal um.«
Er zog sie hoch, setzte sie neben sich und hielt sie dabei weiter fest im Arm. Er befeuchtete seine Hand mit etwas Wasser und säuberte damit ihre Augen. »Besser so?«
Er hörte, wie sie leise keuchte. »Ich glaub es nicht«, stieß sie atemlos aus. »Ich bin hier.«
»Ja, das bist du.«
»Ich liebe es«, sagte sie und stieß erneut hart erarbeitete Luft aus.
Sie waren Welten von der kalten, sterilen Umgebung des Krankenhauses entfernt. Weit weg vom abscheulichen Massaker der Zombiepest. Das hier war Tullys Wirklichkeit. Sie hatte sie sich verdient.
Simon hielt ihren abgemagerten Körper eng an sich gedrückt und lauschte ihrem flachen Atem. Er wusste, dass ihr Körper nicht mehr lange durchhalten würde. Essen konnte ihr nicht mehr helfen und auch keine Medikamente. Da war nur noch der Krebs. Er fraß sie innerlich auf, so wie Zombies das Fleisch auffraßen. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit.
»Ich bin gleich wieder da«, versicherte er ihr und vergewisserte sich, dass sie sicher auf der Bank lag, bevor er ihr den Rücken zuwandte. Er ging zu seinem Rucksack hinüber, griff hinein und ignorierte die leeren Wasserflaschen und Konserven. Schließlich fand seine Hand den Gegenstand, der auf dem Boden des Rucksacks lag und den er bisher kaum benutzt hatte – außer, wenn er hin und wieder einer Zombieschlange oder einem besonders aggressiven menschlichen Zombie begegnet war.
Er zog den Revolver heraus.
Er klappte die Trommel auf und starrte auf die beiden Patronen, die in zwei aneinandergrenzenden Lagern auf ihren Einsatz warteten. Simon durchströmte zum ersten Mal seit langer Zeit ein echtes Glücksgefühl. Er ließ das Magazin wieder einrasten und ging zu Tully zurück.
»Ich will, dass du weißt, dass ich dich mehr liebe als das Leben selbst«, sagte er und ging leicht in die Knie, damit sich seine Augen auf gleicher Höhe mit Tullys befanden. »Und das werde ich immer tun.«
»Ich weiß. Ich liebe dich auch.« Sie hatte Schwierigkeiten, ihre Augen offen zu halten.
»Ich wollte dir deine Träume erfüllen«, fuhr er fort. »Ich wollte dich von all dem wegbringen, von all dem Schmerz. Ich wollte dir etwas Schönes zeigen.«
»Das hast du.«
Er hob die Waffe und richtete sie auf Tullys Kopf. Auf diese Weise war es am besten, das hatte er inzwischen gelernt.
Er erinnerte sich daran, was Tully ein paar Wochen vor dem Beginn der Neuen Welt zu ihm gesagt hatte – »Ich will nicht im Krankenhaus sterben. Nicht an einem so kalten, schrecklichen Ort. Bitte, was auch immer passiert, versprich mir einfach, dass du mich von hier fortbringst, damit ich an einem schönen Ort sterben kann, an einem guten Ort. Versprichst du mir das?«
Er musste sein Versprechen halten. Es war das, was Tully sich wünschte.
»Ich liebe dich, Tully«, sagte er, während
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