Die Sünderin von Siena
diesem Datum entgegenfiebern?«, kam als Einwand von Fernhändler Rivalto. »Sie würden es uns niemals verzeihen, wenn wir sie um ihren großen Auftritt brächten!«
»Wer redet denn davon?«, erwiderte Salimbeni. »Sie sollen ihren Auftritt haben – wie in jedem Jahr. Allerdings mit leicht verändertem Ausgang. Es liegt allein an uns, die Leute aus unseren Stadtvierteln entsprechend zu führen.«
»Rivalto hat nicht ganz unrecht«, mischte sich nun Enea di Nero ein. »Der Tag des Palio ist in der Tat ein Ausnahmetag. Die ganze Stadt auf den Beinen, alle freu dig-festlicher Stimmung, niemand wird Lust haben, sich mit Umsturzplänen zu befassen …«
»… vor allem ist der Palazzo Pubblico ohne Wachen, denn nicht einmal die wollen sich bekanntlicherweise das Pferderennen entgehen lassen. Was also hindert uns daran, unbemerkt mit unseren Gefolgsleuten dort einzudringen und mit einem Streich wiederherzustellen, was schon längst bereinigt gehört?« Rocco Salimbeni schienen die Argumente nicht auszugehen.
»Hält sich Euer Vetter Giovanni d'Agnolino eigentlich noch in Florenz auf?«, fragte der Apotheker unvermittelt dazwischen. Seine Hand fuhr in die Schale mit dem kandierten Rosenkonfekt, von dem er sich ein Stück in den Mund schob. Das Resultat war überraschend: süß, aber keinesfalls überzuckert. Eine Quelle, die aufzutun sich durchaus lohnen würde. Nicht einmal sein bester Lieferant verstand es, ihm solche Qualität zu bieten.
»Giovanni? Woher soll ich das wissen?« Rocco Salimbenis rasch hochgezogene Schultern verrieten, dass er es vermutlich nicht ganz genau mit der Wahrheit nahm. »Er pflegt sich weder bei mir an- noch abzumelden, amici !«
»Nun, es wäre durchaus nicht uninteressant zu erfahren, was der Kaiser von unserem Vorhaben hält.« Savo Marconi hatte sich festgebissen. »Und ob wir mit seiner Unterstützung rechnen können.«
»Wozu brauchen wir den Kaiser?«, brüstete sich Salimbeni. »Etwa, um ein paar lausigen populani klarzumachen, wer die eigentlichen Herrn von Siena sind?«
»Und Ihr würdet Euch die schwierige Last der Führung freiwillig auf die Schultern laden wollen?« Domenico Carsedonis volles Gesicht war offen und freundlich.
»Einer muss es ja schließlich tun. Warum also nicht ich?«
»Weil wir mit unserem Aufstand alte Missstände beseitigen wollen – und nicht im gleichen Atemzug neue einführen«, erwiderte der Apotheker. »Siena kann nur stark und mächtig sein, wenn seine Ratsherren zusammenarbeiten. Dazu gehört als Voraussetzung, dass wir ein Kreis von gleichermaßen Mächtigen und gleichermaßen Wissenden bleiben. Jeder von uns besitzt die gleichen Rechte. Nur auf dieser Grundlage kann es eine glückliche und wohlhabende Zukunft für die Stadt geben!«
»Ich möchte mich beileibe nicht aufdrängen.« Rocco Salimbeni kehrte an den Tisch zurück. »Und würde es sehr bedauern, sollte bislang dieser Eindruck entstanden sein. Es war lediglich ein Angebot, was ich Euch unterbreitet habe, eine Art Entlastung, wenn Ihr so wollt.«
»Dann ist es ja gut.« Richter di Nero musterte die anderen am Tisch. »Es gibt noch ein anderes Thema, das mir auf der Seele brennt. Euch allen sind gewiss die Ausschreitungen jener Engel zu Ohren gekommen? Bernardos Jugendliche greifen grundlos unsere Bürger an, bedrohen sie oder schlagen sie sogar nieder. Das kann nicht in unserem Sinn sein!«
Antonio Mazzei runzelte die Stirn. »Die Betroffenen werden es schon verdient haben«, sagte er. »Wollten wir denn nicht erreichen, dass der padre mit seinen Methoden Zweifler und Verstockte aufrüttelt?«
»Mit Worten, das hatten wir vereinbart, aber doch nicht mit Stöcken! Sie haben meine Frau attackiert«, rief Enea di Nero. »Bice kam mit einer klaffenden Stirnwunde nach Hause und ist seitdem vollkommen durch einander. Wir müssen so schnell wie möglich mit Bernardo reden, ihn zur Vernunft bringen …«
»So ängstlich? So mutlos? Mit dieser Haltung werdet Ihr das Kräfteverhältnis in Siena niemals verändern.« Rocco Salimbeni schien abermals ein neues Argument gefunden zu haben. »Es tut mir aufrichtig leid, was Eurem Weib widerfahren ist, aber müssen wir nicht alle Opfer bringen in dieser Zeit des Umbruchs? Nur wenn der Pöbel merkt, dass die Regierung zu schwach ist, um solchen Ausschreitungen Herr zu werden, wird er geschlossen auf unsere Seite wechseln. Sorgt also künftig lieber dafür, dass Eure Frau dort bleibt, wo ihr Platz ist – in Eurem Haus. Dann ist sie auch vor
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