Die Sünderin von Siena
niemand anderer. Und jetzt lass uns allein, Junge! Wir haben zu reden.«
»Geh nach nebenan, Nevio«, sagte Matteo, »und warte dort!«
»Geh nach Hause, Nevio!«, widersprach Celestina. »Er wird dich heute gewiss nicht mehr brauchen.«
Nevios Blick flog zu dem Maler, der bestätigend nickte. Trotzdem verrieten die widerstrebenden Bewegungen des Jungen, wie wenig ihm Celestinas Aufforde rung passte. Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, ließ Matteo seiner Verärgerung freien Lauf.
»Meinetwegen kannst du das ganze Hospital herumscheuchen, solange du willst«, sagte er. »Doch in meinem Haus bestimme immer noch ich.«
»Red keinen Unsinn!« Celestina stand so nah neben ihm, dass es ein Leichtes für sie gewesen wäre, die Hand auszustrecken und ihn zu berühren, wie sie es schon mehr als tausendmal in ihren Träumen getan hatte. Sie wusste genau, wie seine Haut sich anfühlen würde, welche Wärme sie ausstrahlte – und alles in ihr zog sich voller Sehnsucht zusammen. Zum Glück ahnte er nicht, welche Überwindung es sie kostete, darauf zu verzichten. »Du weißt, dass ich immer zu dir halte, Matteo. Sogar jetzt.«
»Was soll das heißen?«
»Dass der Rektor dich wegen des toten Kindes befragen will. Barna mag dich nicht, wie du sicherlich weißt. Du wirst dir also gute Argumente zurechtlegen müssen.«
»Aber ich hab den Kleinen doch lediglich gefunden! Barna kann mir folglich gar nichts anhaben.«
»Da wäre ich an deiner Stelle nicht so sicher. Denn der Rektor ist offenbar nicht der Einzige, der es auf dich abgesehen hat.« Sie legte eine wirkungsvolle Pause ein. »Du kennst Lupo di Cecco?«
»Flüchtig.« Er wandte sich rasch ab.
»Der hat Barna aufgesucht, als ich gerade am Gehen war. Glücklicherweise war ich noch lang genug anwesend, um mitzubekommen, dass auch er offenbar wenig Sympathien für dich hegt.«
Celestina öffnete das Fenster. Ein Schwall warmer Luft strömte herein. Sie stieß ein tiefes Seufzen aus und kehrte zum Tisch zurück.
»Wenn ich mir dies hier ansehe«, fuhr sie fort, »weiß ich allerdings auch, weshalb.« Ihr Blick war auf die Madonnenskizzen gefallen. Missbilligend schüttelte sie den Kopf. »Musst du immer alle Welt vor den Kopf stoßen – und dann ausgerechnet noch wegen ihr? Diese Frau wird dir nichts als Unglück bringen!«
Matteo warf ein Tuch über die Blätter. Seine Miene war finster geworden.
»Ich male, was ich malen muss«, sagte er heftig. »Und dabei lass ich mir von keinem dreinreden, nicht einmal von dir!«
»Ich will dir doch nur helfen«, sagte sie sanft. »Das kann ich aber nur, wenn du mir Gelegenheit dazu gibst. Sie suchen einen Schuldigen, Matteo. Und wenn du dich nicht vorsiehst, könnten sie womöglich dich dazu stempeln. Ist es das, was du willst?«
»Nein.« Er ließ den Kopf sinken. »Natürlich nicht.«
»Dann schau mich bitte an!«, bat sie. »Was siehst du?«
Er hob den Blick. Die blanke Sehnsucht in ihren Augen ließ ihn sich noch elender fühlen. Er konnte diese Sehnsucht nicht stillen, nicht einmal mit einer freundlichen Lüge.
Eigentlich wussten sie das alle beide.
»Eine kluge Freundin, die bislang immer einen Ausweg wusste«, erwiderte er ausweichend.
»Das klingt doch schon sehr viel besser.« Ein scheues Lächeln verschönte für einen Augenblick Celestinas Gesicht. »Und jetzt hör mir ganz genau zu, was ich vorzuschlagen habe!«
❦
»Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, darin müsst Ihr mir zustimmen!«
Rocco Salimbenis breites Gesicht war schweißnass. Sie hatten sich wiederum in seinem Palazzo versammelt, aber ihm war klar, dass beileibe nicht alle Teilnehmer gerne hierhergekommen waren. Bislang hatte es sich bei der Verschwörung um einen Pakt unter Gleichrangigen gehandelt; nun aber maßte er sich an, die Führung zu übernehmen, was viele vor den Kopf stoßen musste. Doch er war trotz allem entschlossen, sich durch nichts und niemanden von seinem Vorhaben abbringen zu lassen.
»Wäre das nicht ein Sakrileg und deshalb von Anfang an ein durch und durch negatives Omen? Das Fest der Madonna für unsere Zwecke missbrauchen zu wollen?« Die Stimme des Domherrn verriet seine tiefe Skepsis.
»Wie könnt Ihr nur solche Ungereimtheiten von Euch geben, Monsignore Carsedoni!«, schnappte der Angegriffene zurück. »Wo doch ganz Siena ohnehin der Muttergottes gehört! Folglich wäre sie die Erste, die sich über eine neue, eine vernünftige Regierung freuen würde.«
»Und die Contraden, die ein ganzes Jahr
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