Die Sünderin von Siena
Stimme war sehr ruhig. »Und zwar sofort!«
»Weil du die Wahrheit nicht ertragen kannst? Willst du hören, Gemma, was ich denke: Ich verabscheue Frauen wie dich, die sich Männern unterwürfig anbieten und dabei nicht einen Funken Stolz besitzen.«
Gemma stolperte aus dem Haus, ohne recht zu sehen, wohin sie eigentlich ging. Die laue Abendluft, die sie umfing, erschien ihr wie ein Hohn, so aufgewühlt fühlte sie sich. Wie hatte sie sich derart in Lina täuschen können? Zu glauben, sie habe eine treue Freundin gefunden, mit der sie Kummer und Freude teilen könne – und dann das!
Wie blind ging sie weiter, als sie plötzlich Schritte hinter sich hörte. War das Lupo, der ihr wieder aufgelauert hatte?
Mit einem Schrei fuhr sie herum. »Du?«
Matteo sah sie besorgt an. »Was ist mit dir?«, fragte er. »Was ist geschehen, Gemma? Du zitterst ja.«
Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, aber Linas hässliche Worte ließen sich nicht so einfach wegwischen.
»Wir hatten einen scheußlichen Streit«, sagte sie. »Mamma Lina kann mir nicht verzeihen, dass ich gestern zu dir gegangen bin. In ihren Augen trage ich die Schuld an Mauros Tod.«
»Die wollten sie mir auch gerade anhängen«, sagte Matteo. »Weißt du, dass ich erst jetzt dem Uffizium des Rektors entkommen bin? Stundenlang haben sie mich dort in die Mangel genommen. Schließlich hat Celestina sich für mich eingesetzt, sonst säße ich gewiss noch immer dort. Denn wäre es nach Barna gegangen, er hätte mich am liebsten die ganze Nacht über dabehalten, um mir bis zum Morgengrauen immer wieder die gleichen bohrenden Fragen zu stellen.«
Zärtlich wollte er Gemmas Arm berühren, doch sie trat einen Schritt zurück.
»Nicht jetzt«, sagte sie. »Und erst recht nicht hier.«
»Bereust du etwa, was zwischen uns geschehen ist?« Matteo klang verletzt. »Bitte sag mir auf der Stelle, Gemma, dass das nicht zutrifft!«
»Es war schöner als jeder Traum, aber wir hätten es dennoch niemals tun dürfen. Das weißt du ebenso gut wie ich. Wenn uns irgendjemand gesehen hätte – nicht auszudenken!«
Sein Gesicht war offen und weich. »Wir mussten es tun, Liebste«, sagte er. »Und niemand hat uns gesehen. Diese Nacht gehört uns beiden ganz allein.«
»Aber wir müssen vorsichtig sein, noch viel vorsichtiger als bisher. Ich möchte Lina und den Kindern nicht noch mehr Schwierigkeiten machen – aber ich werde nicht mehr in ihr Haus zurückkehren.«
»Willst du bei mir bleiben? Dort wird dich keine Menschenseele entdecken, dafür kann ich sorgen. Nicht einmal Ornela kommt noch zum Saubermachen vorbei. Und für Nevio wird mir schon noch eine gute Ausrede einfallen.«
»Bist du wahnsinnig geworden?«, fuhr sie ihn an. »Du hast doch gehört, was ich eben gesagt habe. Ich gehe zurück zu meinem Vater – und sonst nirgendwohin!«
Trotz der einsetzenden Dämmerung las Gemma in seinen Augen eine Art erstaunten Schmerz, und sie schämte sich im gleichen Augenblick wegen ihrer übertriebenen Heftigkeit.
»Es tut mir leid«, sagte sie. Wie oft hatte sie diesen Satz heute schon in den Mund genommen? »Aber ich bin so durcheinander, dass ich kaum noch klar denken kann. Erst Mauros unfassbarer Tod, dann die Schlägerei bei Bernardos Predigt, schließlich die kleine Cata, die etwas von einem schwarzen Mann angedeutet hat, und zu guter Letzt auch noch der Streit mit Lina …«
»Von welchem Mann?«, unterbrach er sie.
»Damit hat unser Disput ja überhaupt erst begonnen! Cata, die Kleine mit den seltsamen Augen, hat plötzlich von einem ›swarzen Mann‹ erzählt, der gestern Nacht bei Mauro gewesen sein soll. Manche denken, sie sei etwas dumm im Kopf, andere halten sie sogar für eine Idiotin. Aber sie irren sich. Sie ist aufmerksam und hat ein gutes Gedächtnis. Es geht bei ihr alles eben nur ein ganzes Stück langsamer als bei anderen.«
»Du glaubst ihr?«, fragte Matteo.
Gemma nickte. »Lelio tut es auch«, sagte sie. »Und auf seine Meinung gebe ich sehr viel.«
»Aber das hieße ja …«
»… dass es durchaus jemanden geben könnte, der Mauro auf dem Gewissen hat«, sagte Gemma. »Der schwarze Mann. Stell dir das nur einmal vor! Dann wäre der Kleine keines natürlichen Todes gestorben, sondern ermordet worden. Nur, wie sollen wir die Wahrheit je herausfinden?«
Er trat zu ihr, packte ihren Arm und zog sie in einen überdachten Durchgang. Mit den Lippen streifte er über ihre Augen.
»Du vertraust mir?«, flüsterte er.
Etwas Heißes flackerte
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