Die Sünderin
da war sie sicher.
Sie waren fast eine Stunde zu früh am Ziel. Er hielt den Wagen auf dem Parkplatz vor der Klinik. Es war ein schmucker zweistöckiger Bau mit strahlend weißem Verputz. Er hoffte auf ein Zeichen des Erkennens. Es kam nichts. Der Staatsanwalt war der Ansicht: «Wenn es sich tatsächlich soabgespielt hat, wurde sie vermutlich betäubt, ehe man sie zum Bahnhof brachte. Das lässt sich nur leider alles nicht beweisen, selbst wenn sie Professor Frankenberg wiedererkennt. Da bräuchten wir schon ein Geständnis von seiner Seite, und damit rechnen Sie lieber nicht.»
Sie spähte minutenlang durchs Wagenfenster, hielt dabei unbehaglich die Schultern zusammengezogen. Dann verlangte sie, er solle ihr Geständnis über den heimtückischen Mord an dem Mädchen aufnehmen. Nur zur Sicherheit. Man könne ja nicht wissen, was noch käme. Vielleicht ginge es ihr gleich nicht so gut. Und da wolle sie es lieber hinter sich haben.
Er tat ihr den Gefallen, kritzelte ein paar Sätze in sein Notizbuch und ließ sie unterschreiben. Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück.
«Haben wir noch viel Zeit?»
«Noch fast eine Stunde.»
«Können wir uns ein bisschen die Beine vertreten?»
Der Parkplatz war grün umrandet, das zweistöckige Gebäude von altem Baumbestand umgeben. «Das sieht so friedlich aus», sagte sie.
Er ließ sie aussteigen und verschloss den Wagen. Dann schlenderte er neben ihr an den Büschen entlang auf die Klinik zu. Das Privathaus lag dahinter. Es war noch nicht zu sehen. Doch er wusste von seinem ersten Besuch, dass es im selben Stil wie die Klinik errichtet war.
Nach Beinevertreten war ihm nicht. Er führte sie langsam auf die Gebäude zu, nur noch darum bemüht, es hinter sich zu bringen. Sie erzählte wieder irgendetwas. Wie ein Kind, das singend und pfeifend in den dunklen Keller geht, kam sie ihm vor. Und er wusste so gut, wie sie sich fühlte: schuldig von den Haarwurzeln bis zu den Fußsohlen.
Die eigenen Gefühle versuchte er auszuklammern. Er konnte ihr nicht helfen. Er nicht, Brauning nicht, der Staatsanwaltnicht und auch keine Richter. Sie mochten tausend plausible Gründe finden für Georg Frankenbergs Tod. Aber niemand nahm ihr Magdalena von den Schultern. Burthe könnte es versuchen, ihr erklären, es sei ein Unfall gewesen oder der Gnadentod für eine leidende Kreatur.
Er hatte begriffen, dass er sich in diesem Punkt geirrt hatte und was sie ihm hatte erklären wollen. Magdalenas Sterben! Ihm war sogar klar geworden, wessen Skelett man im August vor fünf Jahren in der Heide gefunden hatte. Aber mit beiden Füßen auf ihre Brust gesprungen, so ein Quatsch. Ein bisschen zu fest mit der Hand aufgestützt bei der Liebe und beim Gedanken an Johnny. Mehr konnte es nicht gewesen sein.
Und ihr Vater, der sie über alles liebte, hielt den Mund. Ihre verrückte Mutter begriff es nicht. Die Nachbarin wurde nicht mehr ins Haus gelassen. Die Leiche lag vielleicht ein paar Monate im Zimmer da oben, bis Margret endlich etwas unternahm; das Gerippe in die Heide schaffte und den Totenschein besorgte. So einfach war das.
Der Eingang zum Privathaus lag drei Stufen hoch. Er war ihr um einen Schritt voraus, drückte den Klingelknopf. Sekunden später wurde die Tür geöffnet. Eine junge Frau, nett und adrett im weißen Kittel, schaute ihn fragend an und warf über seine Schulter einen skeptischen Blick auf seine Begleitung.
«Sie wünschen?»
Er zeigte ihr seinen Dienstausweis. «Wir sind für dreizehn Uhr bei Professor Frankenberg angemeldet. Leider sind wir etwas zu früh.»
Das machte nichts. Sie durften im Salon warten. Er trat zuerst ein und durchquerte die Eingangshalle. Sie folgte ihm ängstlich und geduckt, als stünde mitten im Salon ihr Richtblock. Doch da stand nur eine Couch an der Seite. Daneben stand eine riesige Palme, deren Wedel wie ein Regenschirm ausgebreitet waren. Und über der Couch hing ein Stück modernerKunst in schlichtem Rahmen. Rudolf Grovian war bei seinem ersten Besuch in einen anderen Raum geführt worden und sah die Farbkleckse zum ersten Mal.
Sie steuerte direkt darauf zu und blieb vor der Couch stehen. Ihr Gesicht spiegelte eine Mischung aus Erstaunen und Verwirrung. Ihr Blick senkte sich und betrachtete den Fußboden, hob sich wieder und streifte die Wand neben der Couch.
«Das stimmt nicht», protestierte sie verhalten. «Die haben die Treppe zugemauert.» Sie zeigte mit einer hilflosen Geste quer durch den Raum. «Die haben alles umgebaut.» Mit einem
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