Die Sünderinnen (German Edition)
40 reservieren«, lachte Tiefenbach.
»Wie?«
»Na, Aktion Still-Leben-Ruhrschnellweg oder Fest der Alltagskulturen. Die sperren doch die Autobahn auf sechzig Kilometern. Wollen mit zwanzigtausend Tischen die längste Tafel der Welt aufstellen.«
»Ach ja, davon habe ich doch gehört.«
»Aber du glaubst, den Fall eher abzuschließen«, feixte Tiefenbach. »Die legen die A 40 ja erst am 18. Juli 2010 lahm. Außerdem musst du denen für die Reservierung was Kulturelles bieten.«
»Ich könnte ja Barnowski als Model übern Tisch laufen lassen«, entgegnete Pielkötter mit unüberhörbarem Sarkasmus in der Stimme.
Anschließend ärgerte er sich über sich selbst. Tiefenbach konnte schließlich nichts dafür, dass er schlechte Laune hatte.
»Wollte nur sagen, ein Tisch im Köpi wäre mir lieber«, ergänzte er in versöhnlichem Ton. Dann bedankte er sich nochmals und legte auf.
Irgendwie freute er sich sogar auf das Treffen mit Tiefenbach. Er mochte den Rechtsmediziner ebenso wie die ungezwungene Atmosphäre im Köpi. Vor allem die unvergleichlichen Dialoge der Gäste, die es schafften, ihre ganze Weltsicht in dem Wort »muss« zusammenfassen. »Muss« oder ausführlicher »et muss« hieß im Revier, das hatte er amüsiert gelernt, die Welt ist voller Probleme, und ich habe meine Portion abbekommen. Ich packe sie allerdings an, lass mich nicht unterkriegen. Oft bestand die Frage nach dem Befinden auch nur in dem Wort »Und?« Anfangs hatte sich Pielkötter darüber gewundert. Inzwischen hatte er die unkomplizierte Art der Menschen im Ruhrgebiet schätzen gelernt und vor allem den herben Geschmack des Köpi, das direkt aus dem Duisburger Stadtteil Meiderich stammte. Bei einem Betriebsausflug hatte er sogar die riesigen Kupferkessel der Brauerei besichtigt.
»Bier statt Kultur«, hatte Marianne gemosert.
Heute Abend jedenfalls würde es kein Bier geben. Marianne hatte zwei Karten geschenkt bekommen für die Deutsche Oper am Rhein, eine Ballettaufführung, ausgerechnet. Zwar besaß das Duisburg-Düsseldorfer-Ballett einen guten Ruf, aber das machte das Angebot für ihn nicht gerade attraktiver. Am besten zog er die Ermittlungen so lange hin, bis Marianne allein ins Duisburger Theater gehen musste.
Nachdenklich betrachtete er die Kritzeleien auf seinem Notizblock. Warum konnte er sich dieses Geschmiere nicht einfach abgewöhnen? Nachher bekam zufällig so ein Psychologe das Blatt zu Gesicht und folgerte daraus, dass sein Sohn schwul sei. Pielkötter versuchte über seinen Witz zu lachen, brachte aber nur ein seltsames Grunzen zustande. Warum hatte er im Gespräch mit Tiefenbach eine Geliebte ins Karussell möglicher Verdächtiger setzen müssen? Ärgerlich griff er zum Telefon.
»Barnowski, ich brauche die Adresse von diesem Psychologen«, brummte er in den Hörer. »Nein, nicht die Telefonnummer. Ich werde ihn überraschen. Bin gerade in der richtigen Stimmung für eine kleine Vernehmung.«
Missmutig goss sich Mark Milton eine Tasse Kaffee ein und zog ein belegtes Brot aus seiner Aktentasche. Warum hatte er die letzte Sitzung schon wieder überzogen und damit gegen seine eigenen Grundregeln verstoßen? Jetzt blieben ihm nur noch wenige Minuten, bis der nächste Patient eintreffen würde. Die Aussicht darauf, den Abend allein verbringen zu müssen, trug auch nicht gerade zur Besserung seiner Laune bei. Susanne war mit den Kindern für einige Tage zu ihren Eltern nach Essen gefahren.
Mit ungutem Gefühl dachte er an den Abschied, der mehr als frostig ausgefallen war. Zudem konnte er nicht gerade auf den Beistand seiner Schwiegereltern hoffen. Die hatten von Anfang an geahnt, dass Lea und die dunklen Schatten aus seiner nicht gerade makellosen Vergangenheit zwischen ihm und ihrer einzigen Tochter stehen würden. Zudem hatten sie sich für Susanne etwas Besseres gewünscht als einen Psychologen, der aus dem Arbeitermilieu stammte und sein erstes Studium – der Theologie – abgebrochen hatte.
Mark blieb jedoch kaum Zeit, sich weiter über die Standesdünkel seiner Schwiegereltern aufzuregen. Kaum hatte er den letzten Bissen seines Brotes verschlungen, ertönte die Türglocke. Eilig stürzte er noch einen Schluck Kaffee hinunter, um damit einige Krümel aus den Mundwinkeln zu spülen. Schließlich erhob er sich und ließ den nächsten Patienten ein, genauer gesagt, die nächste Patientin.
Marion Karsting begrüßte ihn mit einem scheuen Lächeln. Sie war Mitte vierzig und für ihr Alter recht attraktiv. Das
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