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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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war.
    Lili Brunner, die kleine runde Assistenzärztin, stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite. Er schreckte auf. Die anderen starrten ihn an. »Entschuldigung, ich hatte gerade einen komischen Gedanken«, stammelte er. »Einen Tagtraum«, sagte Cejpek ein wenig süffisant. Cejpek wurde nicht müde zu behaupten, er selbst sei ein hundertprozentiger Naturwissenschafter und die Psyche eine höchst absurde Organisationsform von Materie. Andererseits wies er Horn jeden zweiten seiner Patienten zur Begutachtung zu. »Ein höherer Beamter in der Landesstraßenverwaltung«, erzählte er, »ich war so stolz, dass wir seine Hypertonie in den Griff bekommen haben, und jetzt wird er von Tag zu Tag depressiver.«
    »Das gibt es«, sagte Horn.
    »Da bin ich aber froh«, ätzte Cejpek und griff sich ein Stück Lebkuchen.
    Horn grinste. »Es ist immer besser, die Leute haben etwas, das man kennt«, sagte er. Lili Brunner schaute missbilligend. Sie war in der ärztlichen Kollegenschaft so was wie die Fahnenträgerin der Ernsthaftigkeit. Dazu passte, dass sie sich seit mehr als einem Jahr mit dem Aufbau einer Hospizstation befasste – obwohl sie in Hinblick auf den Tod keine traumatischen Kindheitserlebnisse vorzuweisen habe, wie sie Horn gegenüber immer wieder betonte. Man fühlte sich von ihr jedenfalls ständig moralisch überprüft, und manchmal fragte er sich, ob sie nicht irgendeinem geheimen Orden angehörte.
    Der Rest war Geplänkel. Weihnachtsmenü hin, undankbare Kinder her. Wir haben heuer eine Blautanne, und du kannst dir nicht vorstellen, wie schnell so ein runtergefallener Sternspritzer ein Loch in den Teppich frisst. Unter anderem versuchte man aus Inge Broschek herauszukriegen, ob sie das pelzbesetzte Prada-Täschchen, von dem sie seit ewig schwärmte, bekommen hatte oder nicht. Ohne Erfolg. Am Ende stand sie auf, wischte ein paar Brösel von ihrem Rock, warf den Kopf zurück und verließ mit einem sphinxischen Lächeln das Konferenzzimmer. Horn war ziemlich sicher, dass Leithner ihr das Ding gekauft hatte; er sagte jedoch nichts.
    In seinem Fach im Sekretariat lag ein kleiner Stapel Zuweisungen. Er rollte sie ungelesen zusammen. Nur nichts überhasten, dachte er, eins nach dem anderen, zu Weihnachten ganz besonders.
    Er schaute durch Inge Broscheks Fenster auf den Fluss hinaus. Der Nebel kroch den Hügel hoch. »Und da soll man nicht depressiv werden«, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel. Die Broschek reagierte nicht. Er war froh. Irgendwas fehlte. Er kam nicht drauf.
    Der Wartebereich der Ambulanz war locker besetzt. Eine magere Frau, die offensichtlich schlecht Luft bekam. Ein älterer Mann, der im Sitzen eingeschlafen war. Reisberger, der Drogist, der seine Hand an die linke Brustseite krallte und ziemlich sicher wieder keinen Herzinfarkt erlitten hatte. Ein Elternpaar links und rechts von einem Knaben, um dessen Unterarm anscheinend ein ganzes Arsenal elastischer Binden gewickelt worden war. Einige Menschen, die er nur aus den Augenwinkeln wahrnahm. Von seinen üblichen Verdächtigen war nur Schmidinger darunter, rotgesichtig, mit einem deutlichen Fettglanz auf der Stirn. Nein, ich lasse mir die Laune nicht verderben, dachte Horn.
    Linda saß am Empfang. Sie trug einen naturweißen Pullover aus Merinowolle und verströmte auch sonst Festtagsfreude. »Das Tragen solcher Pullover sollte man Krankenschwestern verbieten«, sagte Horn. Sie lächelte und streckte ihm die Schulter hin. »Weihnachten. Sie dürfen ihn angreifen«, sagte sie.
    »Trau ich mich nie.«
    »Warum nicht?«
    »Dann kommt womöglich Ihr Reinhard mit der Kettensäge.« Sie lachte. Lindas Freund arbeitete als Referatsleiter in der Gebietsforstverwaltung und war in Wahrheit ein extrem sanfter Mensch. »Der weint jedes Mal, wenn er einen Baum zum Fällen freigeben soll«, hatte Reiter, der Assistent auf der Unfallchirurgie, geätzt. Jeder wusste, dass Reiter Linda gern abgeschleppt hätte, mit all seinen schwarzen Locken und neonfarbenen Hugo-Boss-Hemden jedoch nicht die Spur einer Chance hatte. Linda war eine dieser Rothaarigen, bei denen jede einzelne Sommersprosse ein Stück Selbstsicherheit repräsentierte. Horn dachte kurz an Irene. Sie wirkte in letzter Zeit erschöpft und ein wenig distanziert. Vielleicht lag es auch nur an der Sache mit Michael.
    Linda drückte ihm drei Karteikarten in die Hand. »Schmidinger, ein Neuer und Heidemarie. Sie ist noch nicht da, hat aber angerufen.« Horn freute sich. Heidemarie, die Studentin mit der

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