Die Suessen Kleinen
und in ganzen Sätzen.«
»Multiplizieren Sie die Zahl, die Sie sich gedacht haben, mit zehn«, leierte Eytan den vorgeschriebenen Text herunter.
»Weiter«, ermahnte ihn sein Vater.
»Dann dividieren Sie die neue Zahl durch fünf. Halbieren Sie die Zahl, die Sie dann bekommen – und das Resultat ist die Zahl, an die Sie zuerst gedacht haben.«
»Stimmt’s?«, fragte mein Nachbar zitternd vor Aufregung, und als ich bejahend nickte, kannte seine Freude keine Grenzen. »Aber wir sind noch nicht fertig! Eytan, sag jetzt dem Herrn, an welche Zahl er gedacht hat.«
»Weiß ich nicht.«
»Eytan!«
»Sieben?«, fragte das Wunderkind.
»Nein!«
»Eins?«
»Auch nicht!«, brüllte der enttäuschte Papa. »Konzentrier dich!«
»Ich konzentrier mich ja.« Der Kleine begann zu weinen. »Aber woher soll ich wissen, an welche Zahl ein fremder Mann denkt?«
Mit der Selbstbeherrschung des Vaters war es vorbei.
»Drei!« Seine Stimme überschlug sich. »Drei, drei, drei! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass die Leute immer an drei denken?!«
»Und wenn schon«, quakte das gepeinigte Kind. »Was gehen mich Zahlen an? Immer nur Zahlen, immer nur Zahlen! Wer braucht das?«
Aber da hatte mein Nachbar ihn schon am Kragen und beutelte ihn in erhabenem Vaterzorn.
»Was sagen Sie dazu?«, keuchte er unter Verzicht auf Mundwinkel und vorgehaltene Hand. »Haben Sie schon jemals ein achtjähriges Kind gesehen, dass sich nicht einmal eine einzige Ziffer merken kann? Gott hat mich hart geschlagen.«
Damit machte er sich davon, den heulenden Eytan hinter sich herziehend. Ich sah ihm nach, bis seine gramgebeugte Gestalt im winterlichen Mittagssonnenschein verschwand.
Welch ein Fluch für einen Vater, wenn er erkennen muss, dass er dem eigenen Sohn rein gar nichts von seinem Genius vererbt hat.
Verschlüsselt
Zum Nachmittagstee kamen die Lustigs, die wir eingeladen hatten, und brachten ihren sechsjährigen Sohn Schragele mit, den wir nicht eingeladen hatten. Offen gesagt: Wir schätzen es nicht besonders, wenn Eltern immer und überall mit ihrer keineswegs immer und überall erwünschten Nachkommenschaft auftreten. Indessen erwies sich Schragele als ein netter, wohlerzogener Knabe, obwohl es uns ein wenig enervierte, dass er sich pausenlos in sämtlichen Räumen unseres Hauses herumtrieb.
Wir saßen mit seinen Eltern beim Tee und unterhielten uns über alles Mögliche, angefangen von den amerikanischen Mondflügen bis zur Krise des israelischen Theaters. Es waren keine sehr originellen Themen, und die Konversation plätscherte eher mühsam dahin.
Plötzlich hörten wir – ich möchte mich gerne klar ausdrücken, ohne den guten Ton zu verletzen – hörten wir also, dass Schragele, nun ja, die Wasserspülung unserer Toilette in Betrieb setzte.
An sich wäre das nichts Außergewöhnliches gewesen. Warum soll ein gesundes Kind im Laufe eines Nachmittags nicht das Bedürfnis verspüren, auch einmal … man versteht, was ich meine … und warum soll es nach vollzogenem Bedürfnis nicht die Wasserspülung … wie gesagt, das ist nichts Außergewöhnliches.
Außergewöhnlich wurde es erst durch das Verhalten der Eltern. Sie verstummten mitten im Satz, sie verfärbten sich, sie sprangen auf, sie schienen von plötzlichen Krämpfen befallen zu sein, und als Schragele in der Tür erschien, brüllten sie beide gleichzeitig:
»Schragele – was war das?«
»Der Schlüssel zum Kleiderschrank vom Onkel«, lautete die ruhig erteilte Auskunft des Knaben.
Frau Lustig packte ihn an der Hand, zog ihn unter heftigen Vorwürfen in die entfernteste Zimmerecke und ließ ihn dort mit dem Gesicht zur Wand stehen.
»Wir sprechen nur ungern darüber.« Herr Lustig konnte dennoch nicht umhin, sein bekümmertes Vaterherz mit gedämpfter Stimme zu erleichtern. »Schragele ist ein ganz normales Kind – bis auf diese eine, merkwürdige Gewohnheit. Wenn er einen Schlüssel sieht, wird er von einem unwiderstehlichen Zwang befallen, ihn … Sie wissen schon … in die Muschel zu werfen und hinunterzuspülen. Nur Schlüssel, nichts anderes. Immer nur Schlüssel. Alle unsere Versuche, ihm das abzugewöhnen, sind erfolglos geblieben. Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen. Freunde haben uns geraten, gar nichts zu unternehmen und das Kind einfach nicht zu beachten, dann würde es von selbst zur Vernunft kommen. Wir haben diesen Rat befolgt – mit dem Ergebnis, dass wir nach einiger Zeit keinen einzigen Schlüssel mehr im Haus hatten …«
»Komm
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