Die Suessen Kleinen
Kairo.
Da unsere Befehlsgewalt für den heutigen Abend rettungslos untergraben war, blieb Amir nicht nur für die ganze Dauer des dreiaktigen Lustspiels bei uns sitzen, sondern genoss auch noch, leise schluchzend, die Darbietungen zweier Bauchtänzerinnen aus Amman.
Am nächsten Tag schlief er im Kindergarten während der Gesangstunde ein. Die Kindergärtnerin empfahl uns telefonisch, ihn sofort in ein Krankenhaus zu bringen, denn er sei möglicherweise von einer Tsetsefliege gebissen worden. Wir begnügten uns jedoch damit, ihn nach Hause zu holen.
»Jetzt gibt’s nur noch eins«, seufzte unterwegs meine Frau.
»Nämlich?«
»Den Apparat verkaufen.«
»Verkauft ihn doch, verkauft ihn doch!«, meckerte Amir.
Wir verkauften ihn natürlich nicht. Wir stellten ihn nur pünktlich um 20 Uhr abends ab, erledigten die vorschriftsmäßige Prozedur des Zähneputzens und fielen vorschriftsmäßig ins Bett. Unter meinem Kopfkissen lag der auf 21.30 Uhr eingestellte Wecker.
Es klappte. Amir konnte auf seinen zwei Kontrollbesuchen nichts Verdächtiges entdecken, und als der Wecker um 21.30 Uhr sein gedämpftes Klingeln hören ließ, zogen wir leise und behutsam die vorgesehenen Konsequenzen. Der dumpfe Knall, der unsere Behutsamkeit zuschanden machte, rührte daher, dass meine Frau mit dem Kopf an die Tür gestoßen war. Ich half ihr auf die Beine.
»Was ist los?«
»Er hat uns eingesperrt.«
Ein begabtes Kind, das muss man schon sagen – wenn auch auf andrer Linie begabt als Frank Sinatra, dessen neuester Film vor fünf Minuten in Zypern angelaufen war.
»Warte hier, Liebling. Ich versuch’s von außen.«
Durchs offene Fenster sprang ich in den Garten, erkletterte katzenartig den Balkon im ersten Stock, zwängte meine Hand durch das Drahtgitter, öffnete die Tür, stolperte ins Parterre hinunter und befreite meine Frau. Nach knappen zwanzig Minuten saßen wir vor dem Bildschirm. Ohne Ton, aber glücklich.
In Amirs Region herrschte vollkommene, fast schon verdächtige Ruhe.
Auf der Mattscheibe sang Frank Sinatra ein lautloses Lied mit griechischen Untertiteln.
Und plötzlich …
»Achtung, Ephraim!«, konnte meine Frau mir gerade noch zuwispern, während sie das Fernsehgerät ins Dunkel tauchen ließ und mit einem Satz hinter die Couch sprang. Ich meinerseits kroch unter den Tisch, von wo ich Amir, mit einem langen Stock bewehrt, durch den Korridor tappen sah. Vor unserem Schlafzimmer blieb er stehen und guckte, schnüffelnd wie ein Bluthund, durchs Schlüsselloch.
»Hallo!«, rief er. »Ihr dort drinnen! Hallo! Schlaft ihr?«
Als keine Antwort kam, machte er kehrt, und zwar in Richtung Fernsehzimmer. Das war das Ende. Ich knipste das Licht an und empfing ihn mit lautem Lachen: »Hahaha!«, lachte ich und abermals: »Hahaha! Jetzt bist einmal du hereingefallen, Amir, mein Sohn, was?«
Die Details sind unwichtig. Seine Fausthiebe taten mir nicht weh, die Kratzer schon etwas mehr. Richtig unangenehm war, dass man in den Nachbarhäusern alles hörte. Dann holte Amir sein Bettzeug aus dem Kinderzimmer und baute es vor dem Fernsehapparat auf.
Irgendwie konnten wir ihn verstehen. Wir hatten ihn tief enttäuscht, wir hatten den Glauben an seine Eltern erschüttert, wir waren die eigentlich Schuldigen. Er nennt uns seither nur »Lügenpapi« und »Schlangenmami« und zeltet vor dem Bildschirm, bis der Morgen dämmert. In den ersten Nächten sah ich noch ein paarmal nach, ob er ohne uns fernsieht, aber er schlief den Schlaf des halbwegs Gerechten. Wir ließen es dabei. Wir machten erst gar keinen Versuch, ihn zur Übersiedlung in sein Bett zu bewegen. Warum auch? Was tat er denn Übles? Fliegenfangen oder Katzenquälen wäre besser? Wenn er fernsehen will, soll er fernsehen. Morgen verkaufen wir den verdammten Kasten sowieso. Und kaufen einen neuen.
Josepha, die Freie
Seit unserer Übersiedlung in den südlichen Teil der Stadt, in dem sich auch die Universität befindet, sind wir zu Anhängern der akademischen Babysitter geworden. Wir holen uns vom nahe gelegenen Campus eine nette kleine Studentin, vorzugsweise philosophischer oder archäologischer Observanz, und übergeben ihr unsere Nachkommenschaft. Die Kinder gewöhnen sich rasch an die neue Aufsichtsperson, und alles ist in bester Ordnung – so lange, bis eines Tages Sand in die Maschine gerät. Die junge Dame hat plötzlich alle Abende besetzt, oder sie muss sich für Prüfungen vorbereiten, oder sie ist nur noch am Mittwoch frei, und gerade am Mittwoch
Weitere Kostenlose Bücher