Die Suessen Kleinen
hat auch Gideon seinen freien Abend, und wenn wir aus dem Theater nach Hause kommen, finden wir sie beide auf der Couch, mit vom Studium geröteten Gesichtern, und die Kissen sind zerdrückt, und Gideon fährt sich mit dem Kamm durchs wulstige Haar, und die beste Ehefrau von allen wendet sich an mich mit den Worten: »Also bitte. Da hat sich diese kleine Schlampe doch richtig einen Kerl mitgebracht.«
Damit endet in der Regel die meteorhafte Karriere der betreffenden Babysitterin, und die nächste tritt ein.
Diesmal war es Josepha. Sie machte anfangs den denkbar besten Eindruck auf uns: So bescheiden war sie, so klein und zart, so brillentragend. Man hätte sie höchstens für 13 oder 14 gehalten, aber wie sich zeigte, hatte sie auf ihren spindeldürren Beinen bereits die 20 überschritten. Josepha war schmucklos gekleidet, um nicht zu sagen geschmacklos, sie sprach nicht eigentlich, sondern hüstelte immer sehr schnell ein paar Worte hervor, mit gesenkter Stimme und ebensolchen Augen. Zahlreiche Pickel zierten ihre bleiche Haut, ja sie selbst wirkte im Ganzen wie ein Pickel. Sie war, mit einem Wort, der Idealfall einer Babysitterin auf lange Sicht.
Und so entwickelte sich’s mit Josepha in der Tat. Sie kam auf die Minute pünktlich, hüstelte ein leises »Schalom« und ließ sich im Kinderzimmer nieder, wo sie sofort anfing, den Inhalt eines ihrer Hefte in ein anderes Heft zu übertragen. Sie las nicht, sie schrieb nicht, sie übertrug nur. Das ging uns zwar ein wenig auf die Nerven, aber wir nahmen es hin. Überdies war unsere Josepha, im liebenswerten Unterschied zu ihren sämtlichen Vorgängerinnen, zu jeder Zeit und jeder Stunde abkömmlich. Wann immer wir sie anriefen, war am anderen Ende des Drahtes ihr bescheidenes Hüsteln zu hören:
»Ja, ich bin frei.«
»Können Sie heute etwas früher kommen?«
»Gewiss.«
»Und etwas länger bleiben?«
»Gerne.«
Und sie kam früher, um früher mit ihren Übertragungen zu beginnen, still, fragil, die Augen gesenkt. Dabei blieb es auch, wenn ich sie manchmal in später Nacht mit meinem Wagen nach Hause brachte. Einmal wollte ich von ihr wissen, was es auf der Universität Neues gäbe.
»Danke«, hüstelte sie. Und damit endete das verheißungsvolle Gespräch. In jeder anderen Hinsicht, ich sagte es schon, war sie der Inbegriff einer Babysitterin: zuverlässig, ruhig, immer frei, immer Josepha.
Wir respektierten sie sehr, und auch die Kinder schienen sich an die klösterliche Stille, die sie um sich verbreitete, gewöhnt zu haben. Unsere gelegentlichen Einladungen zum Abendessen schlug sie mit bescheidenem, nahezu ängstlichem Kopfschütteln aus. Aß sie jemals? Hatte sie überhaupt die normalen Bedürfnisse eines normalen Menschen? Meine Frau bezweifelte es.
»Das arme Kind«, murmelte sie. »Ich finde es einfach unnatürlich, dass ein junges Mädchen in diesem Alter immer frei ist.«
Die beunruhigenden Symptome häuften sich. Ob Vormittag oder Abend oder halb drei am Nachmittag – Josepha ist stets bereit zum Babysitten und Heftübertragen. Einmal riefen wir kurz vor Mitternacht bei ihr an, als selbst die Grillen schon schliefen.
»Sind Sie frei?«
»Ja.«
»Können Sie jetzt gleich herüberkommen?«
»Ja.«
Meine Frau legte den Hörer auf, ihre Augen waren feucht.
»Es ist tragisch. Niemand kümmert sich um sie. Sie hat keinen Menschen auf der ganzen weiten Welt …«
Aber nach einiger Zeit begann sogar meine Frau, wen könnte es wundern, ein wenig abzustumpfen. Ihr Mitgefühl wich einer nüchternen, von Kritik nicht mehr ganz freien Einstellung.
»Etwas stimmt nicht mit dieser Person«, murrte sie. »Die muss irgendwelche Hemmungen haben. Und wer weiß, woher …«
Das wirkte sich in weiterer Folge auch auf ihr eigenes Seelenleben aus. Es konnte geschehen, dass sie nach einem erfolgreichen Anruf bei Josepha den Hörer hinschmiss und wütend ausrief: »Sie ist schon wieder frei! Schon wieder!!«
In einer sturmgepeitschten Nacht, gegen drei Uhr, schlüpfte die beste Ehefrau von allen aus dem Bett und tastete sich zum Telefon.
»Sind Sie frei, Josepha?«
»Ja.«
»Jetzt?«
»Sofort.«
»Danke, es ist nicht nötig.«
Um es rundheraus zu sagen: Meine Frau begann Josepha zu hassen. Sie war überzeugt, ein seelisch und geistig defektes Geschöpf vor sich zu haben. Vermutlich gingen diese Defekte auf Josephas frühe Kindheit zurück, als sie mit zwölf Jahren in der Schule saß und aussah wie sieben.
»Hier mein Lieblingsschüler«, sagte der
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