Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
getroffen, der ihn zu einer Runde vergorenem Vogelbeerensaft eingeladen habe. Deswegen sei er vielleicht ein wenig beschwipst gewesen.
„Eher volltrunken“ sagte Thuna.
„Seit wann trinkt dieser Hase?“, wunderte sich Lisandra, ihre Gedanken laut aussprechend. „Ich dachte, er wäre ein Stofftier!“
„Ich esse und trinke wie jedes andere Geschöpf!“, erklärte Rackiné sichtlich stolz. „Ich bin schon lange kein Stofftier mehr!“
„Ach, deswegen bist du so gewachsen“, sagte Thuna. „Na ja, wie dem auch sei – du solltest jedenfalls nicht vergessen, wo du herkommst, und dich benehmen wie ein Hase mit Anstand! Alles andere ist peinlich und macht Maria traurig.“
Der Hase nickte gehorsam. Doch nach und nach zeigte sich, dass es um seinen Anstand auch ohne vergorenen Vogelbeerensaft eher mäßig bestellt war. Er neigte zum Quengeln und zur Ungeduld, es ärgerte ihn, dass er sich vor den anderen Schülern der Festung verstecken sollte, und überhaupt ging es ihm auf die Nerven, zu einem Mädchen zu gehören, dass in ihm den braven Stoffhasen sah und nicht den Abenteuerhasen aus dem bösen Wald.
Dabei war Rackiné zwischen starken Gefühlen hin- und hergerissen: Er liebte Maria und behauptete immer, er habe sie im Wald sehr vermisst. Ab und zu bekam er eine Anwandlung, dann stieg er zu Maria aufs Bett und kuschelte sich an sie wie ein lebendiges Stoffhasenkind an seine Mama. Doch fünf Minuten später konnte er schon wieder aufmüpfig sein und frech, dann gab er patzige Antworten oder warf mit Socken durchs Zimmer.
Das war sowieso ein Sport von ihm: Er knotete Handschuhe, Schals und Strümpfe zu kleinen Bällen zusammen und versuchte damit die Lampe abzuschießen. Einmal gelang es ihm, das Glas der Lampe zu zertrümmern. Danach brachte es sogar Maria fertig, ihren Stoffhasen zur Rede zu stellen. Doch statt sich reumütig zu entschuldigen, erfand er die tollsten Schimpfwörter und beglückte damit abwechselnd Maria, die Lampe, die ganze Festung Sumpfloch und Lisandra. Thuna bekam nichts ab, weil Rackiné eine Schwäche für Thuna hatte. Scarlett ließ er auch in Ruhe, denn vor der fürchtete er sich. Und mit Berry sprach er kein Wort mehr, seit sie ihn an seinem Ohr zu Maria geschleift hatte. Also konnte er sie auch nicht beschimpfen.
„Du hältst jetzt auf der Stelle deinen Mund!“, erklärte Scarlett langsam und drohend, nachdem der Hase die Festung als Kotzschule, die Lampe als Kacklicht, Maria als hohle Nuss und Lisandra als Blödkalb bezeichnet hatte. Scarletts Blick und die Tatsache, dass sie sich in ihrem Bett aufrichtete, als sei sie im Begriff, den Hasen mit einem gezielten Schlag zu erledigen, veranlasste ihn, tatsächlich den Hasenmund zu schließen.
„Du kletterst jetzt in deine Schublade und bleibst da drin, bis wir wieder normal mit dir reden können!“, befahl Scarlett. „Los, erlöse uns von deinem Anblick!“
Da war ein Unterton in Scarletts Stimme, der Rackiné ganz und gar nicht geheuer war. Trotzig und leicht beleidigt, als sei ihm großes Unrecht widerfahren, trottete er zu der großen Schublade, in der er sich immer versteckte, wenn fremde Leute ins Zimmer kamen. Er konnte sie aufziehen, sich hineinlegen und sie wieder zuziehen, indem er sich im Inneren der Kommode festhielt und die Beine hinten gegen die Schublade stemmte. In diesem Fall gab er ordentlich Stoff, sodass die Schublade mit einem Riesen-Pardauz zuknallte.
Kunibert, der die Szene von seinem Loch in der Mauer aus beobachtet hatte, rief laut. „BUMM!“ und dann zog er den Stein, der sein Versteck verschloss, mit ebenso viel Elan in seine Lücke zurück, wobei er sich allerdings die Strohfinger einklemmte, und so richtig knallen tat es auch nicht. Gegen Rackiné war Kunibert nur niedlich. In seiner Einfalt versuchte er Rackiné nachzueifern, denn er hielt ihn für seinen großen Bruder. Doch was auch immer Kunibert an rüden Gesten nachahmte, war in seiner Harmlosigkeit eher drollig anzusehen. Denn Kunibert war – zumindest bis jetzt – ein liebes Strohpüppchen, das überhaupt nicht begriff, worauf Rackiné hinauswollte. Wenn also Kunibert gegen den Schrank trat, dann fiel er höchstens über seine eigenen Füße, und wenn er ‚hohle Nuss’ zu einem der Mädchen sagte, klang es vor allem zärtlich. Er liebte nämlich jede einzelne von ihnen, auch Berry, da bestand für ihn kein Unterschied. Jetzt machte er sein Versteck wieder auf, hielt seine Strohfinger in die Höhe und lachte. Kunibert empfand zum
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