Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
Wir Ahnungslosen aus einer Welt ohne Zauberei haben keine Antennen für die dunklen Wesen. Wir rennen gutgläubig in ihre Arme. Wie man sieht.“
Das Wie-man-sieht sagte er mit einem besonderen Unterton. Außerdem beugte er sich leicht vor und sah Scarlett in die Augen.
„Ich hab echt keinen Schimmer“, sagte er, „warum die alle so eine Heidenangst vor dir haben!“
Das brachte Scarlett in Verlegenheit. Schließlich verheimlichte sie ihm auch etwas. War das eigentlich eine Lüge, wenn man etwas Wahres mit Absicht nicht sagte?
„Natürlich weiß ich, dass du zu den dunklen Wesen gehörst“, fuhr er nun fort. „Zu den sehr dunklen. Aber ich spüre es nicht. Es versetzt mich nicht in Angst und Schrecken. Du brauchst auch gar nicht so schuldbewusst zu gucken. Ich weiß, Viego würde dir die Hölle heiß machen, wenn du jedem Jungen die Wahrheit über dich erzählen würdest. Aber ich hab dir ja verraten, dass er und mein Vater ein Herz und eine Seele sind, deswegen hielt er es für notwendig, meinen Vater zu warnen.“
„Wovor?“
„Na, vor dir.“
Gerald lachte über Scarletts Gesichtsausdruck.
„Mit bösen Crudas freundet man sich besser nicht an. Deswegen hat mir mein Vater Gangwolf geraten, einen großen Bogen um dich zu machen. Schon im letzten Halbjahr. Da ist er nur leider an den Falschen geraten. Er selbst hat lauter halbseidene Freunde: Vampire, Spinnenfrauen, Werwölfe, Zyklopen und sogenannte ‚böse Zwerge’. Das hätte er sich mal überlegen sollen, bevor er mir den Umgang mit einer Cruda verbietet!“
„Aber letztes Halbjahr haben wir uns doch kaum gekannt“, sagte Scarlett entgeistert.
„Ja, kaum. Vor allem du mich. Was dir nicht hilft, siehst du nicht. Ich hab dich aber oft beobachtet und hatte den Eindruck, dass du die Welt mit anderen Augen betrachtest als wir normale Menschen. Schwarz verhangen ist deine Wahrnehmung und was dich nicht rettet, verschwindet in den Schatten. Du bist immer auf der Suche nach etwas, das dich erlöst oder wenigstens nicht untergehen lässt. Den Eindruck habe ich. Für dich muss das Leben sehr anstrengend sein.“
Das sagte er einfach so und drückte damit genau das aus, was Scarlett Tag für Tag empfand. Das Gefühl, gegen eine Dunkelheit anzukämpfen, die überall lauerte, in der Vergangenheit und in der Zukunft, rechts und links von ihr, in ihren Träumen und in der Wirklichkeit. Sie konnte der Finsternis nur entrinnen, wenn sie darüber hinauswuchs, wenn sie arbeitete, wenn sie sich verwandelte und stark wurde. Seit ihr Viego Vandalez bei diesem Vorhaben half, war alles viel besser geworden.
„Ich mache Fortschritte“, sagte sie.
„Ja“, erwiderte er. „Manchmal, wenn wir zusammen sind, wirst du ruhiger. Willst du vielleicht doch ein Stück vom Früchtebrot haben?“
„Ich hab keinen Hunger, danke.“
„Eigentlich wollte ich ja auch nicht über uns reden“, sagte Gerald, „sondern über meinen Vater und Viego. Und über Geraldine.“
„Die Schwester deines Vaters.“
„Ja. Sie haben sich als Schüler angefreundet, Gangwolf, Viego und Geraldine. Sie haben immer zusammengehalten und sich gegenseitig beschützt vor Feinden und Gefahren. Sie waren immer bereit, ihre Freiheit oder sogar ihr Leben zu riskieren, um die anderen zu retten. Alles, was ich darüber weiß, hat mir mein Vater erzählt. Viego spricht nicht mehr von früher. Viego hatte es damals besonders schwer. Wegen seiner dunklen Eigenschaften, seiner kriminellen Verwandtschaft und seiner Beziehungen zu gefährlichen Wesen wurde er während seiner Schulzeit benachteiligt und ausspioniert. Schließlich haben sie ihn der Schule verwiesen. Als er nach Finsterpfahl gehen musste, sind ihm mein Vater und Geraldine gefolgt.“
„Sie sind seinetwegen nach Finsterpfahl gegangen?“, fragte Scarlett. „In diese Schule, die so grauenvoll sein soll?“
„Ja, das haben sie getan. Es war eine harte Zeit, aber sie haben es bis zum Ende durchgezogen. Viego hat dort einen sehr guten Abschluss gemacht und auch später hat er sich immer wieder behauptet. Gegen missgünstige Direktoren, Professoren und Beamte der Regierung. Er studierte und wurde ein anerkannter Wissenschaftler. Er wäre Professor an der Universität von Tolois geworden, wenn nicht etwas Schreckliches passiert wäre. Er war der jüngste Wissenschaftler, der jemals den Tausend-Pentakel-Preis erhielt, und der erste Vampirverwandte, der einen eigenen Lehrstuhl bekommen sollte. Doch in der Nacht vor seiner Berufung wurde die
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