Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
ist“, sagte Gerald. „Und wie er mich aus seiner eigenen Welt geholt hat. Auch das ist eine lange Geschichte. Einiges lässt sich mit seinem Talent erklären. Er hat die Gabe, Türe und Tore zu finden, wo andere vor einer Wand stehen. Er musste erst viel über diese Gabe lernen, bevor er es geschafft hat, diese Welt wieder zu verlassen. Noch schwieriger war es, zwischen den Welten hin und her zu gehen und diese Fähigkeit geheim zu halten. Niemand weiß, dass er ein Erdenkind ist. Deswegen hielt er es auch für sicherer, mich als Herrn Winters Sohn auszugeben, nachdem er mich geholt hatte. Sicherer auch für mich. Wenn mein Vater mal auffliegt, wäre das sehr gefährlich für seine Angehörigen. Man würde uns ausquetschen, bis wir unsere eigenen Namen nicht mehr kennen. Verstehst du? Ich vertraue dir, deswegen erzähle ich dir das alles. Solltest du jemals stinksauer auf mich sein, dich an mir rächen wollen oder mich hassen: Lass es an mir aus, aber verrate niemandem die Wahrheit! Du würdest großen Schaden anrichten und Menschen opfern, die dir nie etwas getan haben. Menschen, die nur das Beste für diese Welt wollen!“
Scarlett nickte, immer noch Geralds Hand haltend.
„Ich bin in der Lage, mich gezielt zu rächen und auf Unschuldige Rücksicht zu nehmen“, sagte sie. „Hoffe ich jedenfalls. Viego strengt sich an, mir das beizubringen.“
„Was er tut, tut er leidenschaftlich. So leidenschaftlich, dass er es auf sich genommen hat, mir von deinen heimlichen Treffen mit Hanns zu erzählen.“
„Aber das sind keine heimlichen Treffen!“, rief Scarlett. „Er ist doch nur ein Freund.“
Jetzt verfiel Gerald wieder in das typische Grinsen, das ihn immer dann überkam, wenn von Hanns die Rede war.
„Du hast so eine nette Art, von Hanns zu sprechen“, sagte er. „Wenn du so über mich sprechen würdest, würde ich in meine eigene Welt zurückgehen und Würstchenverkäufer werden.“
„Wieso, wie rede ich denn über ihn?“
„Wie über einen bedauernswerten Schneckenjungen, dessen Langweiligkeit dich mit einem so abgrundtiefen schlechten Gewissen erfüllt, dass du es nicht wagst, etwas Nachteiliges über ihn zu sagen.“
„Er ist kein langweiliger Schneckenjunge!“
„Oder zu dulden, dass andere etwas Nachteiliges über ihn sagen. Ich sehe jedenfalls, dass du dich nicht in Sehnsucht nach ihm verzehrst und das finde ich gut so. Aber solltest du doch noch eine Erleuchtung haben und deine Liebe für ihn entdecken, werde ich euch nicht im Weg stehen. Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen.“
„Wie weise von dir“, sagte Scarlett. „Es wäre ja auch anstrengend und riskant, mir im Weg zu stehen.“
„Leider wahr. Aber ich würde dich vermissen!“
Scarlett glaubte zu wissen, dass er das wirklich tun würde. Es rührte sie und außerdem war sie immer noch angeschlagen von der traurigen Geschichte, die sie über Viego gehört hatte. Um nicht zu zerschmelzen oder in Tränen auszubrechen, versuchte sie, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
„Was ist deine Gabe?“, fragte sie. „Du musst doch auch eine haben, wenn du aus einer Welt ohne Zauber kommst?“
„Man soll nicht über seine Gaben reden“, erwiderte er. „Wenn Geraldine ihre Gabe besser verheimlicht hätte, dann würde sie vielleicht noch leben.“
„Wieso? Was war ihre Gabe?“
„Sie konnte sich unsichtbar machen.“
„Oh, das ist eine schöne Gabe.“
„Ja, aber es hat sie umgebracht.“
„Du lenkst ab: Was kannst du? Es ist etwas Blödes, hat Lisandra gesagt.“
„Ist es auch. Wenn du mich in zehn Jahren noch so anguckst wie jetzt, dann verrate ich’s dir vielleicht.“
Das sagte er und verschloss seine Lippen mit einem Lächeln, das besagte: ‚Glaub bloß nicht, dass du es jemals herausbekommst!’ Sie beugte sich vor und starrte ihn dunkel an: ‚Sicher? Willst du’s mir nicht lieber freiwillig verraten?’ Er lachte und beugte sich ebenfalls vor. ‚Sicher!’, sagten seine Augen. Sie beugte sich noch weiter vor, er kam ihr entgegen. Und schließlich – es ließ sich einfach nicht vermeiden – trafen sich ihre Lippen in der Mitte. Es war ein perfekter Frühlingsmorgen.
Kapitel 11: Feenblau
Rackinés Erziehung zu einem Hasen mit Manieren machte zunächst gute Fortschritte. Nach einer Standpauke von Thuna und Lisandra, in der sie ihm klarmachten, wie sehr er Maria enttäuscht hatte, war der Hase wie ausgetauscht. Er behauptete, er habe auf dem Weg zur Festung einen guten Freund
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