Die tägliche Dosis Gift - Warum fast alles, was wir berühren, essen oder einatmen, chemisch belastet ist. Und wie wir uns davor schützen können
Paradies für Phthalate
Hagebaumarkt, Obi, Hornbach oder Praktiker– ein Rundgang durch die Hallen unserer großen Baumärkte liefert ausreichend Anschauungsunterricht dafür, woher die meisten Alltagsgifte stammen. Baumärkte sind so etwas wie die kommerzielle Heimat der Umwelttoxine, aus ihren Regalen und Stapelplätzen stammen die meisten Weichmacherprodukte und andere Luft- und Wasserkiller. Während sich Holz, Metall oder steife Bisphenol A-Gegenstände nicht verbiegen lassen, sorgen Phthalate für Biegsamkeit und Dehnbarkeit, also für andere Anwendungsmöglichkeiten. Praktisch alle erhältlichen Gartenschläuche, Verbindungskabel, Plastikleisten, flexible Fußbodenbeläge, Abdeckfolien, Plastikfußmatten, Duschböden, Lamellen oder durchsichtige Vorhänge enthalten Phthalate, Bisphenol A oder beides zusammen.
Was sich in den Großhallen der Baumärkte ausbreitet, dünstet daheim in Hobbykellern oder Garagen dann privat aus. Nach der Bauindustrie folgt die Elektro- und Kabelindustrie als bedeutender Verwerter von Weich-PVC, gefolgt vom Automobilbau und von Herstellern von Sport- und Freizeitartikeln wie Trampolinbahnen, Schlauchbooten, Bällen, Schwimmkissen oder -flügeln, Tennisplatzlinierungen, Griffen an Sportgeräten, Landematten für Turnhallen, Markierungskegeln oder Tornetzen. Das Dilemma: Die Freisetzung von Phthalaten aus Weich-PVC lässt sich, wie erwähnt, nicht verhindern. Das Umweltbundesamt setzt sich deshalb dafür ein, auf weichmacherfreie Kunststoffe wie Polyethylen oder Polypropylen umzusteigen. Eine Flucht aus dem Gift bedeutet dies freilich noch lange nicht. Polyethylen (PE) ist eine der am häufigsten eingesetzten Alltagschemikalien, steckt in Gefrierbeuteln, Wäschekörben, Getränkekästen, Mülltonnen und vor allem in fast allen der rund zehn Milliarden Einkaufstüten, die bei uns pro Jahr über die Ladentische gehen und die meist erst nach 100 Jahren allmählich anfangen zu verrotten.
Wegen der dramatischen Zunahme der Umweltbelastung durch diese Chemiesubstanzen appelliert das Umweltbundesamt an die Industrien, Kunststoffe zu entwickeln und zu verwenden, die auch ohne Zugabe von Weichmachern elastisch sind. Auch die Kennzeichnungspflicht sollte auf freiwilliger Basis verstärkt werden. Erfreulicherweise versehen bereits jetzt viele Hersteller ihre Produkte mit Chiffren, aus denen Konsumenten entnehmen können, um welche Art von Kunstsoff es sich handelt:
PET / 1 : Polyethylenterephthalat
HDPE / 2 : Polyethylen hoher Dichte
PVC / 3 : Polyvinylchlorid
LDPE / 4 : Polyethylen niedriger Dichte
PP / 5 : Polypropylen
PS / 6 : Polystyrol
Für alle anderen Plastikerzeugnisse gelten identische Abkürzungen nach der Norm DIN ISO 11469 . Die Kennzeichnung ist meist in einem Symbol aus drei gebogenen Pfeilen eingebettet. Wenn Kunststoffprodukte keine Kennzeichnung aufweisen, sollte man beim entsprechenden Händler nachfragen.
Weichmacher ohne Phthalat-Anteile machen knapp 10 Prozent entsprechender Produkte aus. Sie sind zwar alles andere als toxinfrei, belasten aber die Umwelt weniger. Dazu zählen Ester (Reaktionsprodukte) der Adipinsäure, Citrate, bestimmte Phosphate und andere chemische Verbindungen. Ein neues Chemieprodukt ist der von BASF produzierte Weichmacher DINCH, der viel bei der Herstellung von Kinderspielzeug und Medizinprodukten (zum Beispiel für Blutbeutel) Verwendung findet, außerdem für hauchdünne Stretch- oder Schrumpffolien von Lebensmittelverpackungen, und der sich durch hohe Reißfestigkeit und Flexibilität auszeichnet. Weil auch diese Stoffe aus Kunststoffprodukten freigesetzt werden, gilt der Ehrgeiz der Entwicklung von elastischen, werkstofflichen Alternativen, die ganz ohne Weichmacher auskommen.
Mit dem neuen Chemikalienrecht REACH machen EU-Zulassungsbehörden jetzt Druck auf Giftproduzenten. Der Einsatz von Stoffen mit besorgniserregenden Eigenschaften, also von Fremdstoffen, die Krebs erzeugen, Mutationen in Genen auslösen oder hormonelle Fortpflanzungsmechanismen beeinflussen, also reproduktionstoxisch wirken, muss in Zukunft vermieden werden. Dasselbe gilt grundsätzlich für Substanzen, die sich in hohem Maße in Wasser, Pflanzen, Tieren etc. unwiderruflich anreichern. Sie sind auf jeden Fall künftig zulassungspflichtig. Die Phthalate DEHP, BBP und DBP werden als reproduktionstoxisch eingestuft. Sie sind zwar erlaubt, es muss jedoch dafür Sorge getragen werden, dass sie nicht in die Umwelt gelangen.
Gefahren für Kinder
Immer wieder kommt es zu
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