Die Tänzer von Arun
Augenblick des Entsetzens im Garten hast du die Erfahrung wiederholt, die du damals machtest, als du die Mauer aufzurichten versucht hast und es dir fehlschlug.«
»Ja«, sagte Kerris. Oh, meine Mutter ...
»Aber du hast es auch begriffen, innerlich – du hast verstanden, daß – obwohl das Kind in dir verletzt worden war, der erwachsene Mensch stark und unverletzlich geworden ist. Ich fühlte, wie du zu begreifen begannst. Du hast es aus der Oberfläche deines Denkens verbannt und tief eingeschlossen, doch ich wußte, ich würde es erreichen können, wenn ich nur tief genug hinabtauchte. Und als ich es berührte, hast du, ohne zu denken, reagiert, reflexhaft, mit jener Technik, die der echte Innere Sprecher beherrschen lernt. Du hast mich hinausgestoßen und deinen Wall aufgerichtet.«
Die Mauer schimmerte noch immer hinter seinen Augen, unerschütterlich wie der Granit des Nordens. An ihrem Fuß wuchs spärliches Gras, ein vager Himmel hing über und hinter ihr. Kerris fragte sich, ob Sefer das Bild aus seinen Gedanken entlehnt oder selbst für ihn erfunden hatte. Er glaubte, daß eher ersteres zutreffen mochte. Die Steppe war seine Zuflucht gewesen, vierzehn Jahre lang, eine wie unsichere auch immer. Und Sefer hatte die Steppe nie gesehen.
Die neue Erfahrung fühlte sich für ihn ganz natürlich an, wie das Blut, das durch seine Haut rann. Er begann bereits die Erinnerung daran zu verlieren, wie es ohne das Neue gewesen war. »Aber was kann ich nun tun?« fragte er.
»Alles, was du gern möchtest«, sagte Sefer.
»Soll ich nach Kendra-im-Delta gehen und mich als Wahrheitsfinder verdingen?« Er dachte an seine eigenen bitteren Worte, die er zu Josen gesprochen hatte. Welches große Haus würde mich schon wollen?
Sefer sagte: »Das kannst du tun. Oder du kannst hierbleiben und die Stelle eines Schreibers übernehmen. Elath wird schon bald einen neuen brauchen. Und du kannst sogar nach Tornor zurückkehren.«
Kerris blinzelte. Er hatte nicht geglaubt ... »Nein!« Es kam ganz unwillkürlich aus ihm. »Nein!«
»Weißt du, was ich gern sehen würde? Ich hätte gern, daß du in Elath bleibst und in der Schule unterrichtest.«
»Aber ich bin kein Lehrer.«
»Du könntest lernen, es zu sein. Es ist eine Fertigkeit.«
Die Tür zum Garten öffnete sich. Kel hielt sich mit beiden Händen an den Torpfosten und beugte sich heraus. »Was treibt ihr zwei denn so lange?« Er kam herüber, glitt aus, fand wieder festen Tritt. »Ihr seid jetzt lang genug hier draußen, um einen ganzen Fluß zu pissen!« Er legte besitzergreifend die Hand auf Sefers Nacken. »Komm jetzt rein, nika!«
Sefer sagte: »Wir haben miteinander geredet.«
Kels Haar hing lose. Er warf es aus dem Gesicht zurück in den Nacken. »Soll ich wieder gehen?«
Sefer blickte Kerris an und hob die Augenbrauen. »Sind wir fertig?«
Die Kälte der Bank ließ Kerris' Kniekehlen brennen. »Ich glaube schon.«
»Dann kommt doch rein!« Kel zog Sefer hoch. Er drückte ihn kurz an sich und schob ihn dann in Richtung auf die Tür von sich. Sanft sagte er: »Rutsch nicht aus, dort ist ein Maulwurfsgang.« Er tippte Kerris auf die Schulter. »Chelito ...«
»Ja?«
Der halbe Mond schaukelte über dem Rand des Tales, seine konvexe Krümmung berührte gerade die Baumwipfel. Wie ein Boot auf einem Fluß glitt er in den sternenbesäten Himmel hinauf. Kel fragte: »Woran denkst du?«
»Warum fragt ihr alle mich das?«
»Wer sonst fragt dich so?«
»Elli. Und Josen hat auch immer so gefragt.«
»Weil du dabei ...«, erklärte Kel, »so einen besonderen Gesichtsausdruck bekommst.«
»Wie denn?« fragte Kerris.
»Wie eine verschlossene Tür.«
Kerris wußte nicht genau, ob er das gern hörte. »Ich habe gedacht, daß der Himmel wie ein Fluß aussieht.« Er legte den Kopf in den Nacken und schaute zu den Sternen hinauf. Kels Fingerspitzen streichelten ihn am Hals.
»Mir kommt er eher wie der Ozean vor«, sagte sein Bruder.
»Du hast den Ozean gesehen?«
»Gewiß doch«, sagte Kel. Er mimte ein Frösteln. »Es wird kühl, chelito! Komm mit hinein! Und ich werde dir alles über das Meer sagen – aber erst morgen.« Ein Lächeln huschte flüchtig über sein Gesicht. Er beugte sich vor und ließ beide Daumen an der Innenseite von Kerris' Schenkeln hinaufgleiten.
13. Kapitel
Kurz vor Einbruch der Dämmerung hatte Kerris einen Traum.
Er stand in einem weiten, sonnendurchfluteten Raum bei einem Tisch. Er weinte. Nicht vor Furcht, sondern aus Zorn. Auf
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