Die Tänzer von Arun
roten Pferdes gebeugt und trieb es zu noch mehr Tempo an. Kerris trat in den Stall. Er fand Magrita in ihrer Box und kletterte auf ihren Rücken. Er fuhr mit den Fingern in ihre Mähne und stieß die Hacken in ihre weichen Flanken.
Sie schoß aus dem Stall hinaus. Elli auf Tula war ihm eine halbe Pferdelänge voraus. Sie ritt zu Sefers Hütte zurück. Kerris langte dort gerade noch rechtzeitig an, um zu sehen, wie Kel herausstürzte. Riniard war bei ihm, und Jacob hielt Callito am Hals fest. Kel machte eine blitzschnelle Bewegung zur Seite, Jacob schrie schrill auf und sackte zusammen. Kel sprang auf Callito, und Riniard setzte hinter ihm auf.
Sie ritten den Hang hinauf zum Kamm. Kerris fragte sich, warum Riniard nicht zu den Wachtposten gelaufen war. Der Pfad war steil. Riniard keuchte irgend etwas. Sie waren auf dem Kamm. Kerris hörte einen herausfordernden Ruf, Ilene schrie eine Antwort: »Zurück! Laßt uns durch!« Sonnenlicht blitzte auf Speeren und Schwertern, aber niemand versuchte sie aufzuhalten. Dann waren sie im Wald. Kel hielt plötzlich an. Callito wieherte protestierend, als ihm der Kopf zurückgerissen wurde. Er schlug aus. Riniard grapschte nach Kels Gürtel. Kel warf mit einem Ruck den Kopf des Pferdes herum.
An Callitos Maul hingen Schaumfetzen. Kel packte Kerris. Seine Lippen waren zurückgezogen, er bleckte die Zähne. Er fauchte: »Finde ihn, Kerris! Find ihn mir!« Sein Griff ließ Schmerzknoten durch Kerris' Schulter schießen.
»Ich kann nicht, wenn du mir weh tust«, sagte Kerris, und Kel ließ ihn sofort los. Kerris scheute davor zurück, die Augen zu schließen. Er wußte, er würde vom Pferd fallen, wenn er es täte. Er mühte sich, Kels Gesicht auszublenden, die schweißnassen stampfenden Pferde, die eigene Furcht ...
Er streckte seine Gedanken aus, suchte nach Sefer.
Er spürte-sah-fühlte die Chearis, die Tiere, die hellwache Wildheit von Raubtieren im Walddickicht – er ging weiter. Die Dinge wurden schattenhaft. Sefers Denken müßte in dieser Schattenwelt flammen wie eine Fackel. Aber er konnte ihn nicht herausfühlen. Er spürte Wut – ein wildes Tier? – nein, es war ein Mensch. Er fühlte wie es zu ihnen zwischen den Felsblöcken, zwischen den hochragenden Pinien herüberstieß. »Ich glaube, ich habe Barat gefunden«, flüsterte er.
»Kannst du uns zu ihm führen?« fragte Ilene.
»Ich versuch's!« Kel nahm Callito zurück, um ihn voranreiten zu lassen. Und Kerris folgte dem pulsierenden Richtstrahl von Gefühlen ... Es ging nur langsam, er vermochte es nicht zu beschleunigen. Die Zweige verstellten ihm die Sicht. Er bog vom Pfad ab und zwischen die Bäume hinein. Die Stämme standen dichter. Sie mußten die Pferde zurücklassen. Kel fluchte mit leiser schrecklicher Stimme vor sich hin.
Dann lichteten sich die Bäume. Ein dreieckiges Zelt stand da, aus zusammengebogenen Zweigen und einer perlbestickten Bedeckung aus Tierfellen. Es sah aus wie Hirschleder. Die Sonne, ein roter Feuerball, glühte zwischen den Stämmen. Kerris hatte keinerlei Erinnerung daran, daß sie tiefer gesunken war. Rauch trübte die Luft. Es roch nach Verbranntem.
Sie umringten das Zelt. Zweige knackten unter ihren Füßen. Plötzlich schrie unter den Bäumen eine Frau: »Barat!« Eine Gestalt schlüpfte zwischen den Stämmen hindurch. »Kash'ai! Uchearis lek e'ka!« Kel fluchte. Die Chearis drehten sich um und schauten zu der Gestalt hinüber. Kerris erhaschte einen Blick auf hohe Wangenknochen, glatte, ohne Brandnarben, und er wußte, das mußte Thera sein.
Sie verschwand zwischen den Bäumen. Ein Geräusch aus der Richtung des Zeltes ließ sie herumwirbeln. Barat stand vor dem Zelt, das Messer in der Hand. Die Klinge war blutig. Er machte einen Schritt nach vorn und ging gebückt in Angriffsstellung. Seine Augen schossen von einer Seite zur anderen.
Kel machte eine Handbewegung. Die Chearis fächerten aus. Barat mußte den Kopf hin und her wenden, um sie zu sehen. Er bleckte die Zähne. Sein hageres Gesicht war häßlich und entstellt von Wut und Hoffnungslosigkeit. Langsam schob sich Kel auf ihn zu. Beider Schatten flossen von der untergehenden Sonne weg, grotesk verzerrt, häßlich.
Zwischen den Bäumen raschelte etwas. Barat drehte den Kopf in die Richtung. Seine Hand bewegte sich kaum sichtbar. Das Messer flog aus seiner Hand, blinkte und drehte sich mitten in der Luft, im gleichen Augenblick, in dem Kel wie ein geschleuderter Stein über die Lichtung flog.
Es gab keinen Kampf.
Weitere Kostenlose Bücher