Die Tänzer von Arun
Teich herum. Das Wasser war klar bis zum Grund, und er konnte den unbewachsenen goldenen Sand sehen. Er holte eine Handvoll Wasser an die Lippen. Es war rein.
»Wovon bleibt das Wasser frisch?« fragte er.
»Sef sagt, ein Fluß, den wir nicht sehen können, läuft über den Grund.«
Kerris starrte ins Wasser. Er goldene Sand schien sich nicht zu bewegen.
Das Gras war hell-dunkel gesprenkelt. Ein umgestürzter Baumstamm lag nahe beim Wasser, das eine Ende berührte den Steinring. Auch der Stamm sah aus, als liege er hier schon eine lange Zeit: er war mit pelzigem Moos bewachsen. Kel ließ sich auf einen Flecken sonnenbestrahlten Grases sinken und streckte die Beine von sich. Durch die halbgeschlossenen Lider beobachtete er Kerris. Kerris setzte sich neben ihm ins Gras. Die Sonne verwandelte sein Haar in eine fahlgelbe Mähne, und er sah aus wie ein schlafender Berglöwe.
»Das war unser ganz besonderer Platz, als wir jung waren, Sef und ich. Hier haben wir an dem Tag gesessen, an dem ich ihm gesagt habe, daß ich ein cheari werden müßte. Und an dem Tag, an dem er sich entschlossen hat, die Schule zu gründen ...«
»Wann hast du gewußt, daß du ein cheari sein wirst?«
»Emeth hat es mir gesagt. Aber ich zögerte es immer wieder hinaus. Ich liebte Sefer. Und ich wollte immer bei ihm bleiben – so dachte ich und so sagte ich ihm. Heute weiß ich es besser. Ich bin gern unterwegs, und ich werde schnell ruhelos; Sef hingegen ist ein Nesthocker.«
»Hast du ihn gesehen, als du bei Zayin warst?«
Kel zeigte ein halbes Lächeln. Er stützte den Kopf in die Hand. »Einmal. Im ersten Jahr bin ich ausgerissen und nach Hause gelaufen. Ich bin quer durch ganz Arun gelaufen. Als ich zurückkam, hat Zayin mich verdroschen, bis ich grün und blau war. Er war schon alt, damals, aber sein Arm war noch immer recht kräftig. Die Prügel haben mir nicht so viel ausgemacht, aber als er mir sagte, wenn ich noch einmal weglief, dann würde er mich nicht zurückkommen lassen, ging mir das ziemlich nahe. Ich bin nicht mehr fortgerannt. Ich hätte mir die Kehle durchgeschnitten, um bei Zayin bleiben zu dürfen.«
Kerris dachte: Und genauso fühlt Jacob. Aber er sprach es nicht aus. Statt dessen sagte er: »Du wolltest mir etwas über das Meer sagen. Über den Ozean.«
Kel rollte sich auf den Rücken. »Der Ozean. Also, er sieht aus wie der See Aruna, nur daß er ständig in Bewegung ist, auf und ab, und die Erde mit sich fortnimmt. Und man kann nicht bis ans andere Ende sehen.«
»Können Boote auf ihm fahren?«
»Ein Stück weit. Er ist sehr gewaltig. In den Tavernen der Seefahrer in Kendra-im-Delta singen sie Lieder davon, wie schrecklich er ist, wie tödlich. Ilene kennt ein paar von diesen Liedern. Manchmal braut sich über ihm ein Sturm zusammen, und man denkt, die Erde bricht auseinander vor Lärm und Regen und Blitzen.«
»Das ist dann ein Hurrikan.«
»Richtig.« Kels Hand glitt Kerris' Rücken hinauf und hinab. »Kerris?«
»Ja?«
»Was wirst du tun?«
»Was ...?«
»Wirst du hierbleiben und an der Schule lehren?« Die Hand zeichnete langsame Muster auf seinen Rücken.
»Ich weiß es nicht«, sagte Kerris.
»Du kannst hier Schreiber werden«, sagte Kel. »Und du könntest bei Lea und Ardith wohnen. Sie möchten das.«
»Ja.«
»Oder ...« Kel hielt inne. »Du kannst mit uns kommen. Du könntest mit dem chearas ziehen.« Er setzte sich auf und legte Kerris den Arm um die Schultern. »Wir hätten dich gern bei uns, chelito! Das Muster fühlt sich richtig an, wenn du dabei bist.«
»Aber ich bin kein cheari!«
»Nein. Aber das würde keine Rolle spielen.«
Kerris rupfte einen Grashalm aus. Er lag auf seiner Handfläche. Er konnte sein Gewicht kaum fühlen. Er blies ihn davon. Ich mag dich, sagte Elli in seiner Erinnerung. Das Muster fühlt sich richtig an, wenn du dabei bist, hatte Kel gesagt. Aber was könnte ich tun? dachte er. Wozu wäre ich gut? Zu nichts, sagte seine innere Stimme trübselig. Du würdest nur das Maskottchen sein. Du könntest Kel seine Briefe an Sefer schreiben und das Bett mit ihm teilen, hin und wieder.
Er ließ den Kopf sinken. »Ich ... ich glaube nicht ...«
Kel sagte: »Ich hab' auch nicht geglaubt, daß du es tun würdest.«
»Du hast nicht?« Kerris starrte seinen Bruder an.
»Nein. Warum solltest du? Aber ich habe gehofft, du tust es vielleicht doch. Wir werden dich vermissen, wenn wir weiterziehen.«
»Wann – werdet ihr gehen?«
Kel lachte. Sein Arm packte fester zu.
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