Die Tänzer von Arun
von der Seite her an, sagte aber nichts.
Einmal machten sie Rast, um die Pferde grasen zu lassen. Die Straße war noch immer vollgestopft von Reisenden. Riniard marschierte auf und ab und gab seine Kommentare zu der vorüberziehenden Szenerie, doch die übrigen Chearis blieben stumm und niedergeschlagen, als bedrücke Kels Stimmung sie. Grimmig hockte er am Straßenrand und riß Grashalme aus.
Der Himmel begann strahlend blau zu leuchten. Wolken wie Federn mit lavendelblauen und rosa Lasuren bildeten durchscheinende Muster über dem Horizont. Der Verkehr auf der Straße kam völlig zum Stillstand. »Zur Seite! Zur Seite!« Stimmen brüllten. Die Chearis drängten sich zusammen.
»Was ist los?« fragte Elli.
Kerris schaute nach allen Seiten. Er sah nur eine wogende See von Wagen und flatternden indigoblauen Bändern. Kels Hand schloß sich um seine Schulter. Aufgeschreckt blickte er empor.
Das Gesicht seines Bruders war glatt, nicht mehr von Sorge entstellt. »Dort«, sagte er. »Siehst du das Grün?« Kerris schaute angestrengt und sah – oder glaubte es jedenfalls – eine grünblaue Fahne. Kel war größer als er und konnte besser sehen. Auf einmal schoben sich die Leute vor ihm auseinander. Er erblickte einen Reiter auf einem dunklen Pferd. Er trug einen blaugrünen Mantel und hielt ein blaugrünes Banner in der Hand.
»Ja.«
»Das ist ein Botschafter an den Rat in Tezera. Er kommt von den Adelshäusern in Kendra-im-Delta.«
Nachdem der Kurier vorübergeritten war, lebte der Verkehr wieder auf. Kel tätschelte Kerris am Handgelenk. »Reite jetzt mit mir!« Kerris nahm Magrita nach vorn neben Callito. »Nimm!« Kel warf ihm eine zweite dieser harten grünen Früchte zu.
Riniard brach aus der Reihe aus. Sein Tier begann zu kantern. »Ich treffe euch am See«, rief er. Im Westen hing der Dunst der Abenddämmerung schimmernd in der Luft. Riniards rotes Haar brannte im Spätlicht. Er verschwand um eine Wegbiegung. Kerris hätte gern gewußt, wie weit sie an diesem Tag geritten waren. Vor ihnen bog ein gelber Karren an den Rand der Straße. Kinder kamen herausgepurzelt. Sie kreischten. Kerris klopfte Magrita auf den Hals. Ihr stolzer Kopf senkte sich.
»Schlagen wir bald unser Lager auf?« fragte er.
Kel antwortete: »Wir machen am See Rast.« Sie trabten an einem weiteren Wagen vorüber. Irgendwo, unsichtbar, sang eine Frauenstimme. Andere Stimmen riefen ihnen zu, fröhlich und auffordernd. Kerris sah Flammen und roch den beißenden Geruch von brennendem Torf. Der Widerschein der tanzenden Flammen auf den lächelnden Gesichtern machte ihm bewußt, wie sehr ihn sein ganzer Körper schmerzte. Er reckte sich im Sattel. Der Himmel flammte rot im Westen.
»Bald«, sagte Kel. Es kam aus der Düsternis heraus. Die Straße machte eine Biegung. Kerris stockte der Atem.
Zu ihrer Linken breitete sich ein riesiges Laken aus: golden, still, faltenlos, ein schimmerndes Feuer, das bis an den Horizont reichte und darüber hinaus ... Darüber glommen einige wenige Sterne. Der zunehmende Mond lag mit schrägen Hörnern darüber. Elli stieß einen Fluch aus, so leise, daß man ihn nicht verstehen konnte. Kerris schloß die Augen. Als er sie wieder aufmachte, lag der See noch immer da. Endlos. Von irgendwoher rief ein Reiher. Kerris blickte zu dem gehörnten Mond hinauf. Auch der schien Flammen widerzuspiegeln: seine Gestalt leuchtete mehr kupfern als weiß.
Elli sagte: »Dafür hat es sich gelohnt, den ganzen weiten Weg herzukommen.«
Riniard sagte: »Nun, du hast es geschafft!« Er kam aus dem Schatten der traurig hängenden Bäume gestolpert, die am Seeufer standen. »Ich habe einen Rastplatz für uns gefunden.« Kerris stieg vom Pferd. Er spürte, wie Elli ihn am Arm faßte und ihn zum Wasser hin drehte. Arillard kniete bereits bei einem Stapel von Zweigen und hantierte geschäftig mit Feuerstein und Zunderwolle. Ilene und Jensie rieben die Pferde trocken. Funken stoben durch die Nachtluft. Einer fiel dicht an Kerris' Kopf vorbei zu Boden, und er erkannte, daß es ein geflügeltes Geschöpf war, das am Schwanzende ein Licht trug. Es zog kreiselnd wieder aufwärts und verlor sich im Abend.
Kel ließ den Beutel mit Früchten kreisen. Kerris streckte seine Beine den tanzenden Flammen entgegen. Ilene saß mit kerzengeradem Rücken im Schneidersitz da, sie berührte kaum den Baumstumpf hinter sich. Das letzte schwindende Licht der Dämmerung schimmerte auf ihrer braunen Haut wie Regenwasser.
Riniard gackerte laut lachend,
Weitere Kostenlose Bücher