Die Tänzer von Arun
sagte Kel: »Wir alle haben unsere Toten.«
Arillard blickte zu Boden. Kerris konnte sein Gesicht nicht erkennen. Dann sagte Arillard: »Das ist wahr.«
Ein Falter mit orangeroten Flügeln tauchte über Magritas Widerrist hinweg und flatterte zwischen die Bäume. Kerris dachte an seine eigenen Toten. Er hatte das Gefühl, er müsse die Asech hassen, weil sie seine Mutter getötet hatten. Aber es war schwer, ein ganzes Volk zu hassen, besonders wenn man diese Menschen noch nie gesehen hatte.
»Es gibt keine Heere mehr in Arun«, sagte Elli. »Dieser Traum immerhin blieb Wirklichkeit.«
»Wessen Traum war das?« fragte Kerris.
Sie zögerte, dann sagte sie: »Wir sagen, es war eine Vision des allerersten Cheari, daß es keine Armeen mehr in Arun geben sollte.«
»Wer war dieser erste Cheari?« Er hatte diese gleiche Frage auch schon Josen gestellt. Er erwartete keine Antwort.
Zu seiner Überraschung blickte Elli Ilene an. »Sag du's ihm!«
Ilene klopfte streichelnd den Nacken ihres Braunen. »Es ist Clangeschichte«, sagte sie. »Wir erzählen sie nicht oft vor Außenseitern. Der erste Cheari war ein Krieger und ein Gelehrter. Der Name seiner Familie ist verlorengegangen, aber wir wissen, daß er aus Kendra-im-Delta kam.«
Wenn doch nur Josen das hören könnte, dachte Kerris.
»Er ließ sich in den Roten Bergen nieder und baute ein Dorf in einem Tal. Und die Männer und Frauen, die er um sich sammelte, wurden die ersten Chearis. Das Tal bekam seinen Namen, es wurde Van-ima genannt, Vans Tal.«
»Ich dachte, das alles ist nur Legende«, sagte Kerris.
»Nein«, sagte Ilene. »Es ist Geschichte. Vor seinem Tod benannte Van eine Nachfolgerin, und die bestimmte wieder ihren Nachfolger, und so weiter, Zayin ist der sechste in der Reihe nach Van und er lebt noch immer in dem Tal. Ich glaube nicht, daß er es jemals verlassen hat. Kel und ich haben bei ihm vier Jahre lang studiert. Er ernannte uns zu Chearis.«
Hinter ihnen klatschte eine Peitsche, und sie ritten an den Wegrand, um einen Karren passieren zu lassen. Riniard maulte: »Redest du noch immer von dem alten Mann, Ilene? Hör doch auf, ständig darauf rumzukauen!«
Ilenes Lippen waren zusammengepreßt. Kel hob die Brauen. Elli sagte: »Riniard ist nur neidisch, weiter nichts. Er hat nicht bei Zayin gelernt.«
Kel sagte: »Vielleicht stimmt das. Riniard, würdest du das Zayin ins Gesicht sagen?«
»Wohl kaum«, antwortete der Rothaarige.
»Dann sage es auch nicht zu mir.«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Riniard murmelte etwas, das vielleicht wie tut mir leid klang. Der Wagen wackelte an ihnen vorbei. Er war mit Fässern beladen. Der Fuhrmann rief ihnen einen Gruß zu: »Möge der Frieden des chea auf euch ruhen!« Leichter Wind furchte die Bäume, ein Blütenblatt fiel auf Kerris' Knie. Ich bin ein Hexer, dachte er zum zweitenmal. Er berührte sacht die zarte Blüte mit dem Zeigefinger.
Bei Sonnenuntergang nahmen sie die Furt durch den zweiten Fluß. »Das ist der Breitbach«, sagte Kel. Tatsächlich war das Wasser sehr breit und schnellfließend und wirkte sehr tief.
»Schwimmen wir hier rüber?« fragte Kerris und versuchte zu verheimlichen, wie nervös er bei dieser Vorstellung war. Das Wasser hatte eine milchgrüne Färbung.
»Wir schwimmen überhaupt nicht«, sagte Kel. Er deutete zum anderen Ufer. Kerris mußte die Augen zusammenkneifen in dem roten Dämmerlicht. Er sah etwas, das aussah wie ein Mann, der auf einem breiten flachen Felsbrocken stand ... Der Mann winkte und rief ein freudiges Hallo herüber. Der Felsen löste sich vom Ufer und wurde zum Fahrzeug, zu einer Barke. Mit raschen Stößen trieb der Fährmann die Barke über das Wasser und landete sie genau unter den Nüstern ihrer Pferde. Es waren sogar zwei Fährmänner: ein großer Mann und ein Junge. Beide waren barfuß. Es war eine breite Barke, und sie hatte Bordwände, die das Abrutschen von losen Frachtgütern verhinderten. Sie war reichlich breit genug für acht Menschen und ihre Reittiere. Die Fährmänner warfen Schlingen über Pfosten, um das Fahrzeug am Ufer zu vertäuen.
»Hoi, ihr Chearis!« sagte der Mann. Um das Haar hatte er einen schmutzigen Lumpen gewunden. »Ihr erweist meiner Barke Ehre.«
»Kannst du uns alle auf einmal rüberbringen?« fragte Kel.
»Ganz leicht. Ganz leicht. Hoi, es war ein voller Tag heute. Wir haben eine ganze Karawane des Blauen Clans übergesetzt. Die waren auf dem Weg zu den Grenzfesten.«
»Das war gestern, Paps«, sagte der
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