Die Tänzer von Arun
Haut weiß wie Milch. Dadurch wirkte die Bräunung des Gesichts, der Kehle und der Arme dunkler. Auf ihren Brusthügeln zeichneten sich Sommersprossen ab. Sie sah zornig aus. Riniard rief nach ihr, aber sie wandte sich nicht um.
Am Horizont zeigte sich die Sonne über der Wasserlinie, zeichnete einen goldenen Strich. Kel kam die Böschung herauf. Auch er sah aus wie aus einem Guß, und er glitt dahin wie der Wind. Die aufgehende Sonne verwandelte die Wassertropfen auf seinen Schultern in Diamanten. Er reckte sich, er sah groß aus im Frühlicht. Die Muskeln an seinen Schenkeln und in seinem Schoß sprangen hervor. Der Körper war dort dicht behaart. Hinter ihm kam Ilene heran, packte ihn an beiden Handgelenken und hielt sie hinter seinem Rücken fest. Er trat einen Schritt vor und wirbelte herum. Eine Hand war frei. Ilene beugte sich, um den Hüftwurf vorwegzunehmen. Dann kamen sie Hand in Hand den Strand herauf.
Kerris Blut pochte in seiner Kehle. Er holte lange und tief Luft, wie wenn die feuchte süße Luft am See sich plötzlich verdünnt hätte. Seine Wangen fühlten sich heiß an wie tropfendes Wachs.
Auf der Lichtung schien irgend etwas nicht in Ordnung zu sein. Riniard schmollte. Er sattelte die Pferde und zeigte ein Gesicht wie ein begossener Pudel. Dabei schielte er immer wieder zu Jensie hinüber, die eine finstere Miene zog und einfach nicht in seine Richtung blicken wollte.
Als Jensie an Kerris vorbeikam, legte sie ihm die Hand flach auf die Brust. »Reite heute neben mir!« befahl sie.
»Aber ...«
»Ich bitte dich!«
Er zuckte die Achseln.
Als sie abritten, hob sich leichter Dampf vom See. Sie trabten durch ein Bett von gefiederten Pflanzen mit gerollten Blättern, wie Kerris sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie sahen wie Gewebe aus, wie Spinnweb oder Spitze. Er fragte Jensie nach ihrem Namen. »Farne«, sagte sie. »Aber ich weiß nicht, von welcher Unterart.«
»Ich danke dir«, sagte Kerris. Er fühlte sich befangen. Die Gegenwart Riniards in seinem Rücken war ihm sehr deutlich bewußt.
Jensie fragte ihn: »Kannst du wirklich nicht schwimmen?«
»Nicht besonders gut.«
»Wenn wir in Elath sind, bringen wir es dir bei.«
Wir – das hieß wohl: »wir alle«. Einen Augenblick lang erfüllte ihn Neid angesichts dieses selbstverständlichen »Wir« des Chearas. Jensie sah sehr jung aus, kaum alt genug, eine Cheari zu sein. »Bist du früher schon mal in Elath gewesen?« fragte er.
»Ja. Im vergangenen Jahr. Wir waren zur Sommerernte dort. Damals waren wir zu sechst.«
Ein Rotfuchs schoß über den Pfad. Sein Schwanz flog. Es wurde heißer. Kerris zog sich die Tunika aus. »Wo reiten wir heute hin?« fragte er.
»Ins Galbareth«, antwortete Jensie.
Ein Reiter kanterte an ihnen vorbei: es war ein Mädchen, die schwarzen Zöpfe flogen hinter ihr drein, und sie ritt ohne Sattel auf einem mächtigen rotbraunen Wallach. Mit einer Diskantstimme rief sie dem Chearas ihren Gruß zu. Die Straße stieg an; sie ritten den sanften Hang hinauf und machten auf dem Kamm halt.
Kerris schauderte vor Erregung. Vor ihnen lag das weite grüngoldene Herzland Aruns, die Felder Galbareths, die sich zu beiden Seiten des Großen Stromes wie Flügel ausspannten. Kerris blickte hinunter. Dunst lagerte über den Getreidefeldern. Kantige Dächer stießen scharf aus der betäubenden Monotonie der Anbauflächen in die Luft – Scheuern, Vorratsschuppen, Stallungen und Wohngebäude. Tief im Westen eine Windmühle mit stumpfen Armflügeln. Die Straße schlängelte sich in den Dunst hinein und verschwand in ihm.
Kel sagte: »Kerris, erinnerst du dich?«
»Erinnern?«
»Du hast das alles schon einmal gesehen.«
»Nein«, sagte Kerris. »Ich kann mich an diese Reise nicht erinnern.«
Cal ritt an den andern vorbei an die Spitze, dicht neben Kel. Er erhob die Stimme, damit alle ihn hören könnten. »Wir müssen beisammen bleiben. Man kann sich in den Getreidefeldern leicht verirren. Riniard und ich sind hier geboren, aber ihr übrigen seid fremd hier. Und Galbareth mag Fremde nicht. Haltet eure Tiere davon ab, wild zu weiden, und tut nichts Böses gegen Mensch und Tier.« Die Chearis nickten ernst. Kerris schaute zurück: die Berge waren verschwunden. Er verspürte ein bebendes Entsetzen, wie wenn die Erde selbst gewankt hätte. Er klopfte Magrita auf den gebogenen Hals und preßte ihr die Knie in die Flanken.
»Warum reiten wir diesen Weg?« fragte er Jensie. »Warum halten wir uns nicht weiter an den
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